Die Corona-Krise hat viele Mitarbeiter von heute auf morgen in das Homeoffice katapultiert. Warum sich Active Sourcing gerade jetzt lohnt, erklärt Günther Salzmann, General Manager bei der Teamforce Human Resources GmbH. Im Interview beschreibt er, welche Netiquette-Regeln Recruiter bei der Direktansprache einhalten sollten.
Herr Salzmann, wie wirkt sich die Corona-Krise auf die Direktansprache aus?
Interessant ist, dass sich die Erreichbarkeit unserer Zielkandidaten in den letzten Tagen erheblich erhöht hat und die Leute aufgrund der Krise besonders gesprächsbereit sind. Das gilt insbesondere dort, wo einige Arbeitgeber bedingt durch die jetzige Situation „ihr wahres Gesicht“ gezeigt haben und sich nicht wie erwartet durch einen krisenerprobten Managementstil ausgezeichnet haben.
Insgesamt entwickelt sich Active Sourcing zunehmend zu einem wichtigen Bereich des Recruitings. Welche Kompetenzen benötigen Active Sourcer?
Active Sourcing ist im Grunde genommen eine Philosophie. Es geht darum, einen Talentepool aufzubauen. Dafür müssen sie sehr gute Recherchegaben haben. Sie sollten also Informationen über potenzielle Kandidaten sammeln und einordnen können, um die Personen dann zielgerichtet ansprechen zu können. Das Schlechteste, was somit passieren kann, ist, die falschen Kandidaten mit den falschen Botschaften anzusprechen.
Auf welchen Kanälen sollten Active Sourcer zu Hause sein?
Das sind zum einen Online-Kanäle wie Business-Netzwerke oder andere soziale Medien. Active Sourcer müssen dort wirklich zu Hause sein und mit den Methodiken und Algorithmen, die diese Medien nutzen, Klavier spielen können. Das ist die eine Seite, die aber bei weitem nicht ausreicht. Denn natürlich sind auf diesen Netzwerken auch alle unsere Branchen-Kollegen unterwegs und sprechen potenzielle Kandidaten an. Wichtig sind daher auch die Möglichkeiten des Offline-Sourcings – über persönliche Kontakte, Messen, Konferenzen – also überall dort, wo Menschen zusammenkommen. Wir arbeiten so, dass wir Kontakte in den einzelnen Branchen haben, die uns den Weg ebnen und Möglichkeiten bieten, an die Kandidaten heranzukommen. Hier geht es also um die klassische Direktansprache, so wie sie vor 20 Jahren schon war, als wir die sozialen Medien als Unterstützung noch nicht hatten.
Die erste Kontaktaufnahme erfolgt ja meist übers Telefon. Was ist beim Einstiegsgespräch zu beachten?
Je mehr ich über die Zielperson weiß, desto besser. Generell hinterlassen Menschen natürlich im World Wide Web ihren Fußabdruck. Diese Stücke zusammenzutragen, ist ein Key Asset. Auch im Sinne der Netiquette ist es ganz wichtig, sich gut auf das erste Gespräch vorzubereiten.
Wann sollte man anrufen?
Es ist ganz wesentlich, den richtigen Zeitpunkt zu wählen: Grundsätzlich sind Menschen früh am Tag empfänglicher – und auch später ab 17 Uhr ist es günstiger. Ganz essenziell ist es außerdem, sich zu vergewissern, dass die Person ungestört sprechen kann. Es wäre ein absolutes No-Go, gleich mit der Botschaft ins Haus zu fallen, wenn der Kandidat oder die Kandidatin in einem Meeting ist oder der Fachvorgesetzten neben dem Schreibtisch steht. Das erste Gespräch kann unter Umständen auch relativ kurz dauern, weil es dem Gesprächspartner gerade nicht passt und man einen Follow-up-Termin vereinbaren muss, zu dem ein ausführlicherer Austausch möglich ist.
Was dann folgt, ist im Prinzip gelebtes Personalmarketing. Die Personen, die Sie ansprechen, sind ja nicht aktiv auf der Suche nach einer neuen Position. Das heißt, Sie müssen die Position schmackhaft machen – und zwar meist, ohne im ersten Schritt Ihren Klienten nennen zu können. Auch ohne diese Information preiszugeben, müssen Sie also aufzeigen, dass der neue Job der nächste logische Karriereschritt wäre – und das impliziert, dass Sie sehr gut vorbereitet sein und wissen müssen, wo der aktuelle Karrierestatus des Kandidaten ist.
Welche Fehler sollte man im ersten Gespräch unbedingt vermeiden?
Sie müssen Interesse an der Person zeigen und wertschätzend mit ihr umgehen. Das bedeutet zum Beispiel, dass sie die Person aussprechen lassen müssen. Zuhören können und die gewonnenen Informationen richtig sondieren zu können, ist ganz zentral.
Auch im Lauf des Gesprächs ist es wichtig, immer wieder zu überprüfen, ob der Kandidat oder die Kandidatin ungestört reden kann. Denn es könnte ja sein, dass plötzlich jemand zur Tür hereinkommt. Hier die Sensibilität und das Radar zu haben, zu sagen, „Geht es noch? Sind Sie nach wie vor ungestört?“ gehört zum Handwerk.
Wie sollte es nach diesem ersten, qualifizierten Erstgespräch weitergehen?
Möglicherweise geht es nicht weiter, weil man für diese Position vielleicht nicht zusammenkommt. Aber vielleicht waren die Gespräche grundsätzlich gut und man vereinbart, diesen Kandidaten/diese Kandidatin auf dem Radar behält. Dann muss man sie aber wirklich auf dem Radar halten und mindestens zweimal im Jahr einen Kontakt herstellen. Dabei kann es auch darum gehen, zu erfragen, ob es beim Kandidaten etwas Neues gibt – ob man weiterhin DSGVO-konform ist – und, und, und.
Die zweite Möglichkeit: Der Kandidat/die Kandidatin ist sehr interessiert und wir stiegen in ein Gespräch ein – sei es face-to-face oder per Videokonferenz. Letzteres ist sehr zeiteffizient, vor allem, wenn Kandidaten für ein Gespräch größere Distanzen zu überprüfen hätten. Auch über ein Video-Interview erhält man einen sehr guten Eindruck von einer Person. Ich würde sagen, es hat zu 90 Prozent die Qualität eines persönlichen Face-to-Face-Gesprächs.
Wie hat sich die Direktansprache in den letzten Jahren verändert?
Sie ist schneller geworden. Die „Time to Recruit“, also die Durchgangszeit, ist heute deutlich kürzer als noch vor zehn Jahren. Außerdem ist die Knappheit von hochqualifizierten Personen ein sehr großes Problem. Der Markt wird immer dünner. Ein sehr gutes Beispiel ist der IT&T-Bereich mit seinen neuen Technologien – Big Data, Dataware, ERP, CRM und so weiter. Das ist ein ganz großer Markt, der die letzten fünf Jahre explodiert ist, für den gar nicht mehr genug Talente ausgebildet werden können. Das heißt: Die Talente, die wir ansprechen, werden üblicherweise von mehreren Seiten angesprochen. So kann es sein, dass eine Person fünf bis zehn Anrufe von Headhuntern täglich bekommt. Das kann teilweise lähmend und mühsam werden – und daher müssen Sie sich unterscheiden. Mit Null-Acht-Fünfzehn-Standardansprachen kommen Sie nicht weit. Stattdessen müssen Sie eine Beziehung zum Kandidaten aufbauen und Sie benötigen teilweise fünf bis sieben positive Kontakte, damit die Person mit ihnen sprechen möchte.
Das klingt sehr aufwändig. Wann lohnen sich Active Sourcing und Direktansprache für Unternehmen?
Natürlich können Sie mit Direktanspreche teure Personalressourcen unproduktiv verbrennen. Der Cost-per-Hire-Faktor ist bei im Active Sourcing gigantisch. Aber Sie haben einen sehr geringen Streuverlust und rekrutieren äußerst individuell und zielgruppenorientiert. Was wir in der Direktansprache zudem machen, ist direktes Personalmarketing und Employer Branding – über verschiedenste Kanäle. Viele reduzieren Direct Sourcing auf Xing oder LinkedIn. Aber das sind nur zwei Kanäle unter vielen. Direktansprache lohnt sich dann, wenn Sie auf anderen Wegen nicht weiterkommen. Natürlich macht es keinen Sinn, diese Form des Recruitings für alle Positionen einzusetzen. Ein Recruiting-Mix ist nach wie vor zielführend. Es gibt durchaus Berufe und Berufsgruppen, wo das Medium des Inserats noch ein gutes Zugpferd ist. Aber es gibt eben auch andere, wo ein Inserat nichts bewirken kann.
Interview: Bettina Geuenich