Interview mit Sandra Sonderegger
Das Unternehmen RUBICON mit Sitz in Wien entwickelt IT-Lösungen für Privatunternehmen und öffentliche Verwaltungen. So hat der Flughafen Wien die Fundbürosoftware von RUBICON im Einsatz, die Polizei verwendet Tools des Anbieters zum Beispiel dann, wenn sie Strafzettel verteilt. Obwohl RUBICON mit rund 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als Großunternehmen durchgeht, war der Softwarespezialist lange Zeit nicht sehr bekannt. Ein Hackathon sollte das ändern. Warum „Coding Austria“ 2023 nun schon zum zweiten Mal erfolgreich war und was der Event intern angestoßen hat, beschreibt Sandra Sonderegger, Head of Recruiting, Learning & Development bei RUBICON, im Interview.
Frau Sonderegger, für alle Nicht-ITler: Was passiert bei einem Hackathon?
Bei einem Hackathon arbeiten unterschiedlichste Personen mit verschiedenen Backgrounds, insbesondere aber Programmiererinnen und Programmierer, an einer oder mehreren Problemstellungen mit gesellschaftspolitischer Relevanz. Sie bilden Teams oder melden sich schon vorab als Team an und entwickeln dann – in nur 24 Stunden – technische Lösungen für verschiedene Herausforderungen, sogenannte „Challenges“.
Warum hat RUBICON den Hackathon „Coding Austria“ ins Leben gerufen?
Wir wollten unsere Sichtbarkeit als Unternehmen erhöhen. Denn aufgrund unserer Softwarelösungen haben wir zwar viele Berührungspunkte mit Bürgerinnen und Bürgern, aber sie wissen das oft nicht. Ein Hackathon war aus unserer Sicht ein guter Weg, bekannter zu werden – zumal die Arbeit an gesellschaftlich relevanten Fragestellungen gut zu unserem Unternehmen passt.
Hinzu kommt, dass wir als Softwareunternehmen IT-Fachpersonal suchen – und dabei mit fast jedem größeren Unternehmen in Österreich konkurrieren. Und obwohl wir an vielen innovativen Themen arbeiten, haben wir in der Vergangenheit von Kandidatinnen und Kandidaten häufig die Rückmeldung bekommen, dass sie RUBICON vor der Bewerbung nicht kannten. Das wollten wir ändern.
Das heißt, Sie wollten mehr Sichtbarkeit in der IT-Community erzielen?
Genau. Unser Ziel war aber nicht, über den Hackathon eine bestimmte Anzahl an Bewerbungen zu bekommen. Es gibt Unternehmen, die Hackathons gezielt für das Recruiting organisieren. Das fühlt sich dann an wie eine Werbeveranstaltung oder ein Assessment Center – und das wollten wir nicht. Uns ging es darum, ein cooles Event zu veranstalten, das einen Mehrwert für alle bringt und uns bekannter macht, weil die Leute darüber reden und Medien darüber berichten.
Warum haben Sie den Hackathon mit Partnern organisiert?
Ich glaube, man kann einen solchen Event ohne Partner gar nicht sinnvoll umsetzen. Wir haben „Coding Austria“ mit der Notariatskammer organisiert, die ähnliche Fragestellungen hat wie wir. Unterstützt wurden wir vom Brutkasten mit seinen Kontakten zur Start-up-Szene. Zusätzlich hat uns der Standard begleitet. Beide Medienpartner haben die Veranstaltung beworben und damit die Teilnehmenden aus der IT-Community auf uns aufmerksam gemacht.
Was mussten Sie in der Vorbereitung von „Coding Austria“ bedenken?
Einen Hackathon mit über 100 Teilnehmenden vorzubereiten, ist aufwendig. Wir mussten mehrere interne Kräfte mobilisieren, um den Event vorzubereiten – von der Technik bis hin zum Essen und den Schlafmöglichkeiten. Das Marketing hat Merchandise-Produkte vorbereitet, zum Beispiel Hoodies für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Beim Event selbst haben Kolleginnen und Kollegen die Teilnehmenden betreut und sich dabei im Schichtdienst abgelöst. Es wurde auch in der Nacht gehackt. Aber der Kraftakt lohnt sich: Es war unglaublich, zu sehen, welche Dynamik bei den Hackathons entstanden ist und wie intensiv die Leute an den Themen gearbeitet haben – mit viel Humor, aber auch einer großen Ernsthaftigkeit.
Welche Aufgaben haben die Teams bearbeitet?
Wir haben uns Partner gesucht, die Aufgabenstellungen mit Mehrwert beisteuern, darunter die ÖBB, die Wiener Linien, das Rote Kreuz und Raiffeisen Software. Es gab zum Beispiel eine Challenge der ÖBB, in der es um die „letzte Meile“ ging. Die ÖBB bietet Züge durch die gesamte Republik an, aber nicht in die entlegensten Regionen. Diese Challenge hat sich daher mit der Fragestellung beschäftigt, wie man die letzten Kilometer vom Bahnhof nach Hause bewältigt. Nutzt man beispielsweise eine App, um ein Taxi zu rufen oder Mitfahrgelegenheiten zu organisieren? Eine weitere Challenge betraf die gestiegenen Einkaufspreise. Zu diesem Thema wurden Apps entwickelt, die Lebensmittelpreise von Supermärkten tagesaktuell vergleichen. Gewonnen hat ein Team, das eine Lösung gestaltet hat, mit der die Wiener Linien Menschen mit Sehbehinderung besser an ihr Ziel führen können.
Was wurde aus diesen Ideen?
Die Rechte an den Ideen, die während der Hackathons entwickelt werden, liegen bei den Teams. Aber wir wissen, dass die Teams nach der Veranstaltung mit Challenge-Partnern weiterführende Gespräche geführt haben. Für die Teilnehmenden bietet ein solcher Hackathon neben dem Preisgeld den Mehrwert, gute Kontakte knüpfen zu können.
Was hat Coding Austria bei RUBICON bewegt?
Für uns waren die beiden Hackathons, die wir schon veranstaltet haben, jeweils tolle Erfahrungen, die viele Ideen angestoßen haben. Beispielsweise haben wir im vergangenen Juni unseren ersten Innovation Day organisiert: Dabei konnten Entwicklerinnen und Entwickler einen Tag lang an einer konkreten Idee arbeiten, die sie vorher gepitcht haben. An diesem Tag ging es zum Beispiel um die Frage, wie wir künstliche Intelligenz in unsere Produktentwicklung weiter einbin-
den.
Nach den positiven Erfahrungen des Innovation Day gehen wir mit einem neuen Format – dem Creative Lab – nun einen Schritt weiter: Wir geben einigen Kolleginnen und Kollegen die Möglichkeit, einen ganzen Monat von ihrer Arbeit freigestellt zu werden, um sich ganz einer bestimmten Challenge zu widmen. Das können eigene Ideen sein, aber auch Fragestellungen von anderen, die im Team bearbeitet werden. Das Creative Lab bringt natürlich einen großen organisatorischen Aufwand mit sich. Wir müssen die anderen Teammitglieder gut abholen, Vertretungen und Arbeitsteilung organisieren. Dafür braucht es viel Commitment, aber wir glauben, dass es sich lohnt.
Eine weitere Wirkung des Hackathons: Die Leiterin unseres Office Managements war von der Idee des Hackathons, an Ideen mit gesellschaftlichem Mehrwert zu arbeiten, so begeistert, dass sie ein eigenes Projekt gestartet hat: RUBICON goes Green ist mittlerweile eine umfangreiche Initiative, mit der wir das Unternehmen grüner machen: Das beginnt bei der Müllorganisation und reicht von unseren Einkaufsgewohnheiten bis hin zur Ernährung. Wir haben einen Koch bei uns, der dreimal die Woche für uns Frühstück aus regionalen Zutaten zubereitet.
Welches Fazit zum Projekt ziehen Sie aus HR-Sicht?
Wir haben die Erfahrung gemacht, dass ein Hackathon intern sehr viel Dynamik und
Energie freisetzen kann. Wir haben uns zum Beispiel nach dem Event ausführlich mit unserer Arbeitgebermarke auseinandergesetzt und eine Employer Value Proposition erarbeitet. Für den nächsten Hackathon bekommen wir jetzt schon Anfragen von Kolleginnen und Kollegen, die gerne dabei sein und bei der Organisation helfen möchten. Das zeigt: Als Bindungsinstrumente sind solche Veranstaltungen absolut sinnvoll.
Auch auf unser Branding und unsere Sichtbarkeit hat „Coding Austria“ eingezahlt. Das kommt uns natürlich auch im Recruiting zugute. Aber ich glaube, man darf ein solches Event nicht klein denken und darauf reduzieren, dass man am Ende drei Bewerbungen zusätzlich hat. Man bekommt viel mehr als das. Wir haben über das Projekt beispielsweise Kontakte zu einigen Partnern geknüpft und viel interessanten Input bekommen. Das war für uns sehr wertvoll – ebenso wie die Dynamik, die das Projekt intern entfaltet hat.
Gab es für Sie ein persönliches Learning?
Für mich war eines der Learnings, wie schnell Onboarding funktionieren kann. Ich beschäftige mich mit diesem Thema und weiß, dass es dauern kann, bis jemand wirklich irgendwo ankommt. Daher fand ich es so spannend, wie die Leute beim Hackathon erschienen, sich kurz umschauten und dann direkt loslegten und enorm produktiv wurden. Natürlich waren sie in dieser Situation nicht auf eine langfristige Bindung mit einem Unternehmen aus. Dennoch war es interessant zu beobachten, wie schnell sie mit der richtigen Motivation und guten Ideen aktiv wurden.
Interview: Bettina Geuenich
Dieser Artikel stammt aus der personal manager Ausgabe 1/24