Karriere ohne Leiter

New Work erfordert ein Umdenken
bei der Mitarbeiterentwicklung

Karriere ohne Leiter. Wozu braucht es noch eine Personalentwicklung und dafür verantwortliche Spezialist:innen im Unternehmen? Hat sich der Ansatz einer mehrjährigen Laufbahnplanung nicht längst überholt? Sollte man es im Zeitalter von New Work und Digitalisierung dann nicht gleich sein lassen und die für die Entwicklung aufgewendeten Ressourcen besser für andere Zwecke einsetzen? Fragen, die mitunter an HR gestellt werden und die sich nicht einfach beantworten lassen. Die folgenden Ausführungen sollen aufzeigen, wie sich die Personalentwicklung ändern muss, um auch zukünftig einen Nutzen für Mitarbeitende und Unternehmen zu gewährleisten.

Der ‚New Way of Work‘ macht auch vor der Mitarbeiterentwicklung nicht halt. In der Vergangenheit war es mehr oder weniger üblich, dass sich Mitarbeitende mit ihren Führungskräften zusammensetzten, um mit HR Entwicklungsschritte über mehrere Perioden generalstabsmäßig auf dem Reißbrett zu entwerfen. Ziel war primär die Vorbereitung auf die Übernahme eines bestimmten Jobs oder einer Führungsposition in einer Organisation. Die zunehmende Flexibilisierung in puncto Führung und Zusammenarbeit sowie die Digitalisierung der Arbeits- und Leistungsprozesse machen der bisherigen Entwicklungsarbeit aber einen gewaltigen Strich durch die Rechnung – und dies aus mehreren Gründen.

Fortlaufend verändern sich Arbeitsplätze und damit verbundene Rollen, neue (digitale) Jobs entstehen, herkömmliche entfallen zur Gänze, da beispielsweise maschinelle Algorithmen Routineaufgaben übernehmen. Zukünftige Berufsbilder sind oft noch unklar und erscheinen zumeist in einem anderen – teilweise noch nebulösen – Licht. Mitarbeitende nichtsdestotrotz in eine bestimmte Richtung entwickeln zu wollen, ist in solch einem Szenario nicht nur fragwürdig und kostspielig, sondern oftmals vergebene Liebesmüh‘ und vielfach untauglich. Ein Ansatz, der sich an die Bedürfnisse und Interessen der Mitarbeitenden anpasst und dabei auch die Unternehmensstrategie im Blickfeld hat, ist hier sicherlich zweckmäßiger.

Gerade jüngere Generationen verschreiben sich nicht mehr nur einem Arbeitgeber, sondern suchen verstärkt neue Herausforderungen und spannender klingende Aufgaben – auch wenn andere Organisationen diese anbieten. Loyalitäten haben nicht mehr jenen Stellenwert, den sie für frühere Generationen hatten. Angehörige der Y- und Z-Generation entscheiden viel öfter nach dem Kalkül der Sinnhaftigkeit ihres Tuns und nach dem Grundsatz, ob der vakante Job ihren Erwartungen an das Berufsleben entspricht. Sie schrecken dabei auch nicht davor zurück, rasch die Form der Zusammenarbeit zu wechseln. Auch dies spricht mehrheitlich gegen eine langfristige Planung.

Von der Karriereleiter zur Kletterwand

Eine in Aussicht gestellte Karriereleiter verliert somit zunehmend an Attraktivität. Wachstum und individueller Berufserfolg ergeben sich nicht mehr ausschließlich vertikal in Form von Beförderungen und der Übernahme von Führungspositionen. Hingegen wird aufgrund des oben dargestellten Trends eine Rollenflexibilität von den Mitarbeitenden nachgefragt, die ihnen ein persönliches Wachsen ermöglicht: Mal sehen sie sich in der Führungsrolle für ein Team, mal als Leitende eines Projekts und dann wiederum als Expert:innen für ein Fach- oder Prozessthema.

Bildlich verwandelt sich die Karriereleiter zur Kletterwand: je nach Erfahrung und Trittsicherheit steigt man einen Schritt nach oben, dann möglicherweise auf die Seite und dann wieder einen nach unten. Man lässt sich damit mehrere Optionen offen und fixiert sich nicht nur auf einen Weg – nämlich auf den steil nach oben. Im Fokus stehen eher Vertiefung und Weiterentwicklung der aktuellen Fähigkeiten (Upskilling), der Erwerb und der Ausbau neuer Fähigkeiten (Reskilling) und das Erproben neuer Rollen sowie die Bereitschaft, sich flexibel nach oben, seitwärts oder nach unten zu bewegen.

Klassische PersonalentwicklungNew Development
Planungshorizontlangfristig & eindimensionalflexibel & mehrdimensional
Entwicklungsansatzstarr & veränderungsresistentdynamisch & proaktiv
Entwicklungsfokusvertikal & hierarchieorientierthorizontal & aufgabenorientiert
Entwicklungszieleanforderungs- & unternehmensgerechterwartungs- & mitarbeitergerecht
Entwicklungsprozessegeradlinig & organisationsbezogenadaptiv & mitarbeiterzentriert
Entwicklungsverantwortungpassiv & fremdgesteuertaktiv & selbstbestimmt

KARRIERELEITER versus KLETTERWAND

Von der starren zu einer dynamischen Mitarbeiterentwicklung

Wie kann HR diese Transformation im Sinne eines „New Development” vorantreiben, um dem Wunsch nach Flexibilität bei gleichzeitigem Ausbau der Individualität und der Forderung nach Weiterentwicklung der eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten gerecht zu werden? Welche neuen Ansätze und Methoden in der Mitarbeiterentwicklung helfen dabei, den modifizierten Anforderungen und Erwartungen der jüngeren Generationen nachzukommen? Die im Folgenden dargestellten sind probate Mittel dafür:

People show their expertise: Mitarbeitende vermarkten sich und ihre Kompetenzen

Will man als Organisation wissen, über welche Kompetenzen und über welches fachliche Know-how die Mitarbeitenden verfügen, so bietet es sich an, alle einzuladen, ihre Expertise und ihren bisherigen Werdegang auf Basis eines einheitlichen Profilrahmens in einer Datenbank zu hinterlegen. Sie können damit eigeninitiativ allen in der Organisation zeigen, welche Beiträge sie aufgrund ihrer Kenntnisse und Erfahrungen für konkrete Aufgaben und Projekte liefern können und was sie für andere Funktionen qualifiziert. Diese Selbstvermarktung führt einerseits zu einer stärkeren Visibilität und zu einem höheren Bekanntheitsgrad (gleichsam einem „Employee Branding”), andererseits erleichtert dies die direkte Kontaktaufnahme, unabhängig von der hierarchischen Stellung und etwaigen organisatorischen Hürden.

Zugegeben – diese Idee ist nicht gänzlich neu, wird sie doch schon seit geraumer Zeit von den gängigen Social-Media-Plattformen wie LinkedIn oder XING verfolgt. Für eine innerbetriebliche Anwendung macht es jedoch Sinn, dafür ein eigenes System aufzubauen, das sowohl die datenschutzrechtlichen Anforderungen als auch die betrieblichen Spezifika berücksichtigt. Schlussendlich bildet es die Basis für alle nachfolgenden Methoden, die im Idealfall per Schnittstelle miteinander verknüpft sind.

People find their strengths: Mitarbeitende analysieren ihre Stärken

Aktiv Feedback zur eigenen Person einzuholen und gleichzeitig auszuloten, wo Stärken und Entwicklungsansätze liegen, sind Grundpfeiler für eine nachhaltige Entwicklung. Diese Reflexion (Wo stehe ich aktuell? Wie bewerten andere mein Verhalten? Was benötige ich noch, um mein Ziel zu erreichen?) kann HR unterstützen, indem es entsprechende Analyseverfahren (am besten über eine der am Markt bereits verfügbaren Anwendungen) bereitstellt. Digitale Tools erlauben es, eigenständig und mit wenigen Klicks Befragungsprozesse anzustoßen, die Rückmeldeergebnisse elektronisch zu sammeln und auszuwerten. Beispielsweise kann ein Projektmitglied seine Kolleg:innen anonym befragen, wie sie seine Mitarbeit im Projekt wahrgenommen haben, was sie als besonders gut empfanden und wo sie möglicherweise noch Entwicklungsbedarf sehen.

Und nicht nur dieser Nutzen spricht dafür: Investiert nämlich ein Unternehmen in solche Verfahren, so signalisiert es damit auch gegenüber den Mitarbeitenden, dass es an ihren eigenverantwortlichen Entwicklungswillen glaubt. Dieser Vertrauensvorschuss befeuert die intrinsische Motivation und gleichzeitig die Bereitschaft, diese Tools auch ohne spezielle Aufforderung zu nutzen.

People design their development: Mitarbeitende bestimmen ihre Entwicklung

Gerade bei der Vielzahl von Lernangeboten wird es zunehmend wichtiger, den Überblick zu bewahren und jene zu selektieren, die der eigenen Entwicklung dienen. Speziell die Digitalisierung führt hier zu einer regelrechten Schwemme von E-Learning-Tools, interaktiven Lernvideos über Streamingkanäle und frei verfügbaren Wissensdatenbanken und Lernbibliotheken. In dieser Flut von Informations- und Lernoptionen als Mitarbeitende das bedarfsgerechte und für die eigene Entwicklung förderliche Angebot zu finden, erscheint schier unmöglich. Personalentwickler:innen können hier im Sinne eines „People Coachs” als agile Lernbegleiter:innen und Kurator:innen fungieren und den Mitarbeitenden helfen, sich in diesem Dickicht zurechtzufinden. Entscheidet man sich schlussendlich für einen Entwicklungsweg, so muss nichtsdestotrotz die Durchlässigkeit zwischen den Entwicklungswegen gewährleistet bleiben, denn das Einschlagen einer Laufbahn (zum Beispiel Führungs- oder Fachlaufbahn) darf aus den in der Einleitung genannten Gründen für die nachwachsenden Generationen nicht zur Einbahnstraße mutieren.

People meet jobs: Mitarbeitende präsentieren sich am internen Stellenmarkt

Größere Organisationen verfügen bereits seit Längerem über einen elektronischen Stellenmarkt (Jobbörse), der Vakanzen – Funktionen, Projekte und Aufgaben betreffend – aufzeigt und Interessierten die Chance bietet, ihr Kompetenzprofil mit dem Anforderungsprofil der Ausschreibung in Eigenregie zu matchen. Diese Funktionalitäten machen sowohl für interne als auch für externe Bewerber:innen Sinn und erleichtern es HR ungemein, auf Basis der Matching-Ergebnisse einen Pool von interessanten Kandidat:innen speziell für den Schlüsselfunktionsnachwuchs aufzubauen. Interne und Externe können damit ihre Vielseitigkeit unter Beweis stellen und ihr Potenzial den Entscheidungsträger:innen zugänglich machen.

Eine Erweiterung dieses Systems wäre ein generelles Angebot an die Mitarbeitenden, ihr Interesse für den einen oder anderen Job auch unabhängig davon zu bekunden, ob diese Jobs tatsächlich zum gegenwärtigen Zeitpunkt frei sind oder nicht. Solch ein internes Aufzeigen eines Mitarbeitenden forciert seine Sichtbarkeit und erleichtert HR, zukünftige Potenziale und Talente für alle Jobs in der Organisation rasch und unbürokratisch aufzuspüren. Konkrete Anwendungsfälle gibt es dazu bereits in der Praxis, wo Mitarbeitende beispielsweise elektronisch in betrieblichen Organigrammen jene Jobs oder Projekte mit einem „Gefällt mir“-Button markieren können, die ihren Erwartungen und Stärken entsprechen. Erfolgt auf Basis dieses Signals eine vertrauliche Kontaktaufnahme durch HR, so können die weiteren Schritte und verfügbaren Optionen sowohl auf Basis des aktuellen Kompetenzprofils als auch des Potenzials ventiliert werden.

// Ausblick
Die Personalentwicklung und die Karriereverläufe in den Unternehmen unterliegen einer Transformation – das ist Fakt. Flexibilisierung, Agilität und Anpassungsfähigkeit gewinnen zunehmend an Bedeutung – nicht zuletzt, weil die Mitarbeitenden nach Individualität und Autonomie streben. Dieser Paradigmenwechsel erfordert moderne Methoden und eine neu justierte Ausrichtung bei der Entwicklung. Die Positionierung von HR muss in diesem Kontext zukünftig auch eine andere sein. Galt es für frühere Generationen noch als primäres Ziel, die geradlinig vorgegebenen Laufbahnen (nach oben) zu absolvieren, wird es nun immer wichtiger, individuelle Pfade zu identifizieren und die Mitarbeitenden dabei zu unterstützen, ihren eigenen Weg zu finden.

Dieser Artikel stammt aus der personal manager Ausgabe 5/24

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Karl Lang

Senior HR Director, Honorary Professor bei Siemens AG Österreich