Die Wiener Stadtwerke setzen Corporate Volunteering ein, um angehenden Führungskräften einen Blick über den Tellerrand ihres Arbeitsbereichs zu ermöglichen. Welche Erfahrungen der Konzern damit gesammelt hat, beschreibt Personalentwicklerin Sigrid Laser im Interview.
Frau Laser, wie entstand die Idee, Corporate Volunteering in der Entwicklung von Führungskräften zu nutzen?
Wir haben vor rund vier Jahren unser Programm für Nachwuchsführungskräfte überarbeitet. Dabei kam die Idee auf, Corporate Volunteering einzusetzen. Damit wollten wir einerseits Erfahrungen vermitteln, die herausfordern und jenseits des üblichen Geschäfts liegen. Zum anderen fühlen wir uns als Wiener Infrastrukturunternehmen den Menschen in der Stadt Wien besonders verpflichtet. Uns ist wichtig, der Gesellschaft etwas zurückzugeben. Das tun wir auch schon, beispielsweise über unser Engagement zum Klimaschutz. Aber im Bereich Social Empowerment hatten wir bisher keine Aktivitäten. Deshalb haben wir uns für Corporate Volunteering, also das Fördern sozialer Projekte, entschieden.
Wie haben Sie dieses Vorhaben umgesetzt?
Zunächst haben wir haben uns einen Partner gesucht – und in der Volkshilfe Wien gefunden. Heute arbeiten wir zusätzlich mit der Caritas Wien zusammen. Mit beiden Organisationen setzen wir Projekte um – etwa in Kinder- und Jugendwohnheimen, Küchen für Obdachlose, Pflegediensten oder in der Flüchtlingsbetreuung.
Wir haben zum Beispiel Gärten für Kinderwohnheime gestaltet. Dabei konnten unsere Führungskräfte auch die Ressourcen der Gruppe nutzen. So unterstützte der Bereich Bestattung und Friedhöfe mit Pflanzen und Beratung. Der Betriebsrat der Wiener Netze spendete eine Gartengarnitur – und teilweise wurden auch Sitzmöbel aus Paletten hergestellt, die aus den Werkstätten der Wiener Linien stammten.
Das heißt aber nicht, dass den Führungskräften alles geliefert wurde. Sie mussten sich selbst überlegen, wen sie ansprechen und wie sie die Vorhaben mit einem sehr kleinen Budget umsetzen. Die Ideen dazu sollten sie nicht in Eigenregie entwickeln, sondern mit den Menschen vor Ort. Es ging also darum, in einen Dialog zu kommen, auf andere zu reagieren und gemeinsam etwas zu schaffen.
Welche Fähigkeiten fördert Corporate Volunteering besonders?
Eigenverantwortung, Kreativität und Kommunikation lässt sich über Corporate Volunteering fördern. Es hilft auch dabei, das eigene Kommunikationsverhalten zu reflektieren. Wenn ich mit meiner gewohnten Art zu kommunizieren nicht durchkomme und keinen Dialog erreiche, denke ich automatisch darüber nach, woran es liegt und wie ich weiterkomme. Ein schönes Beispiel war ein Ausflug, den Führungskräfte von uns mit viel Energie vorbereitet hatten: Sie haben einen Kleinbus der Wiener Lokalbahnen Verkehrsdienste ausgeliehen und sind mit einer Gruppe Geflüchteter nach Linz ins Museum gefahren. Die Leute waren aber während des Museumsbesuchs und danach total still – und die Führungskräfte wussten nicht, woran das liegen könnte. Dann sind sie an der Donau entlanggegangen und irgendwer hat angefangen, Musik zu streamen. Ganz allmählich haben sie dann begonnen zur Musik zu singen und zu tanzen. Das war der entscheidende Moment, in dem ein Dialog entstand, weil man etwas gefunden hat, das beiden Seiten Spaß macht – und so haben sich alle mit Händen und Füßen unterhalten.
Was lernen Führungskräfte in solchen Momenten?
Wir bekommen häufig das Feedback, dass es besonders hilfreich ist, sich einmal mit Dingen auseinanderzusetzen, die nicht dem gewohnten Alltag entsprechen. Corporate Volunteering öffnet den Blick für Menschen, die ganz andere Wünsche und Bedürfnisse haben, als die Leute in meinem bisherigen Umfeld. Es geht darum, mehr Sensibilität für andere Zielgruppen zu bekommen und darauf zu reagieren. In der Obdachlosenküche rein vegan zu kochen, weil ich Veganer:in bin und die vegane Ernährungsweise gut finde, geht sehr wahrscheinlich an den Wünschen der Menschen vorbei, um die es ja eigentlich gehen sollte. Denn sie wollen möglichst viele und möglichst schnell Kalorien. Daher bringt mich ein solches Projekt möglicherweise dazu, über meinen eigenen Tellerrand zu schauen und andere Bedürfnisse zu akzeptieren.
Wie nominieren Sie die Teilnehmer:innen für das Programm?
Die Teilnehmer:innen können sich selbst bewerben, in Rücksprache mit der Führungskraft. Das war uns ganz wichtig, um nicht Gefahr zu laufen, dass nur Leute empfohlen werden, die ihrer Führungskraft ähnlich sind oder besonders gut mit ihr zusammenarbeiten. Außerdem besetzen wir jeweils die Hälfte der Plätze mit Männern und Frauen, weil wir in der Vergangenheit gesehen haben, dass wir bei vergleichbaren Programmen einen massiven Männerüberschuss unter den Nominierungen hatten. Bewerben können sich Menschen mit Interesse an Führungsthemen ebenso wie Führungskräfte, die maximal ein Jahr in einer Leitungsposition sind.
Welche Learnings können Sie aus Ihren Erfahrungen mit Corporate Volunteering im Leadership Development teilen?
Corporate Volunteering bringt Menschen dazu, sich ganz neuen Erfahrungen zu stellen. Daher sind die Projekte für die Teilnehmenden sehr herausfordernd – und natürlich haben auch wir immer mal wieder die Rückmeldung bekommen, das Budget sei zu gering, die Zeit sei zu knapp oder die Unterstützung bleibe aus. Dabei geht es ja genau darum: aus der Komfortzone zu treten und mit geringen Ressourcen mit anderen etwas zu schaffen. Aber weil das anstrengt, ist es umso wichtiger, die Leute gut abzuholen und die Ideen dahinter zu erklären.
Ich würde dazu raten, sich genügend Zeit zu nehmen, um das Vorhaben zu durchdenken, die Zielgruppe zu definieren und die Kommunikation zu planen. Aus meiner Sicht ist es auch sehr wichtig, dem Thema intern Zeit und Ressourcen einzuräumen. Ich habe einmal mit einem Unternehmen gesprochen, in dem die Mitarbeitenden Corporate Volunteering in ihrer Freizeit machen sollten. Da bekommt man natürlich recht schnell Akzeptanzprobleme, wenn der Arbeitgeber selbst nicht bereit ist, in dieses Thema zu investieren. Wir gehen bewusst einen anderen Weg. Für uns trägt Corporate Volunteering dazu bei, dass wir als Organisation genauer hinschauen, wie die Welt draußen ist, und ganz bewusst unseren Beitrag dazu leisten.
Interview: Bettina Geuenich