In dynamischen Zeiten, und ganz besonders in Krisensituationen, wird Lernen in Organisationen enorm wichtig. Neue Informationen aufnehmen, Vorhaben definieren oder einfach nur neue, unbekannte Wege und Methoden anwenden. Das alles in Echtzeit. Das setzt die bekannten Instrumente des betrieblichen Lernens stark unter Druck, zeitlich wie inhaltlich. Organisationen können immer seltener warten, bis Learning and Development (L&D) die relevanten Inhalte klar und eindeutig formuliert hat, um diese nach bewährten Mustern didaktisch aufzubereiten und danach auszurollen. Mit durchgeplanten Trainingsinitiativen ist L&D nicht mehr rechtzeitig beim Lernenden. Von der erwiesenen mäßigen Wirkung unserer tradierten Lernkonzepte ganz zu schweigen. Höchste Zeit also, Tradiertes kritisch zu hinterfragen!
Das Neue Lernen!
Wenn alte Lernformen nichts mehr taugen, brauchen wir einfach neue Lernformen – so der häufige Reflex im Bereich Learning & Development, den viele Anbieter gerne befeuern.
Doch das menschliche Lernen hat sich in den letzten Jahrhunderten kaum verändert. Die Biologie des Lernens ist mittlerweile gut erforscht, und für alle wissenschaftliche Disziplinen ist klar: Lernen ist von Natur aus selbstgesteuert. Gesteuert durch Interesse, Neugier und (soziale) Motivation. Und weitgehend unabhängig von Lernformen.
Was wir brauchen sind also neue Lehrformen. Formen, in denen nicht Wissen (alleine) im Vordergrund steht, sondern Emotionen. Also weg von der klassischen Aufgabe von Lehrern, Trainern und Personalentwicklern, die Lernende automatisch eine passive, aufnehmende, konsumorientierte Rolle bringt.
Wir brauchen Lehrformen, in denen Interesse, Neugier und Motivation ausreichend Raum haben. Selbstgesteuerte Lehrformate leisten das – brauchen aber bestimmte Rahmenbedingungen, damit sie in Unternehmen zum Erfolg führen. Aktuell kennen wir noch (viel zu) wenige Formate, wie zum Beispiel OpenSpaces, BarCamps, Learning Journeys, WOL oder lernOS.
Alle müssen selbst Lernen?
Wenn wir Lernen nicht mehr steuern, sondern einfach zulassen, bringen wir Lernende in eine aktive Rolle, die im Unternehmen mit solchen Formaten gut unterstützt werden können. Damit verändert sich die Rolle von L&D automatisch: Weiterbildungsverantwortliche werden von Inhaltsaufbereitern und Content-Distributoren zu Inhaltsanbietern, Impulssetzern, Lernmotivatoren und Neugier-Anstachlern. Ja, das muss auch L&D erst (selbst) lernen.
Selbstgesteuerte Formate brauchen aber eine klare Vision und eine klare Führung. Konkret bedeutet das,
- eine gemeinsame Vision über das erwünschte (Lern)Ergebnis zu entwickeln, statt einseitig organisationale Lernziele vorzudefinieren.
- einen organisatorischen Rahmen zu schaffen, in dem Inhalte er- oder bearbeitet werden können, statt Seminarabläufe starr festzulegen.
- individuelle Experimente in der Praxis ermöglichen und damit Lernschleifen zu unterstützen statt lineare, allgemein gültige Lernpfade auszurollen.
Kritiker wenden gerne ein: Die gewünschten Lern-Ergebnisse sind damit nicht garantiert und die Lernprozesse nicht ausreichend auf Effizienz getrimmt. Nein, das sind sie nicht. Doch das können wir von klassischen Lernkonzepten (leider) auch nicht erwarten, wie uns empirische Studien laufend zeigen – trotz zum Beispiel ausgefeilten Learning Analytics oder aufwendigen Transfermanagements.
Selbstgesteuertes Lernen, kann das funktionieren?
Nach gut zehn Jahren praktischer Erfahrung mit selbstgesteuerten Formaten im Unternehmen kann ich behaupten: es funktioniert (besser).
Allerdings ist es nicht einfach: für Mitarbeiter, für Management und schon gar nicht für L&D. Es gilt, nicht nur in eine neue Rolle zu finden und diese auszufüllen. Es gilt auch, das bekannte Lernparadigma des „Experten gesteuerten Lernens“ komplett auf den Kopf zu stellen.
Die größte Herausforderung: all dies intern zu erklären und zu verkaufen. Mitarbeiter brauchen Starthilfe in ihrer neuen, aktiven Rolle. Und Orientierung, was sie nun dürfen und sollen. Führungskräfte brauchen Sicherheit und Vertrauen, dass Selbststeuerung tatsächlich wirkt und gute Ergebnisse produziert. Schließlich brauchen selbstgesteuerte Formate auch eine viel aktivere Rolle in der Führung als bisher.
Veranstaltungstipp
Gerne erzähle ich Ihnen mehr über meine Erfahrungen und Erlebnisse mit selbstgesteuerten Formaten in der Praxis, über BarCamps, Expedition Führung oder Learnathons. Über diesen Lern- und Entwicklungsprozess im Österreichischen Automobil-, Motorrad-, und Touring-Club (ÖAMTC) berichte ich im Rahmen meiner Keynote „Expedition Führung, Learnathon & Co – Erfahrungen mit selbstgesteuerten Lernformaten beim ÖAMTC“ auf der L&DPro am 28. Mai 2020 im MVG-Museum in München. Ich freu mich auf Sie!