Immer mehr Unternehmen entwickeln sich hin zu modernen Arbeitsformen. Wenn jedoch die Sozialpartner die Transformation verhandeln und gestalten sollen, werden die meisten Organisationen ihrem eigenen modernen Anspruch nicht gerecht: Es findet ein Kräftemessen und Verteidigen von Positionen statt. Dies ist fast ausnahmslos ineffizient und kontraproduktiv. Was ist die Alternative?
Im Moment treiben Digitalisierung, die weltweite Vernetzung von Informationen und die Coronapandemie massive Veränderungen an. Diese Entwicklungen stellen Geschäftsmodelle in Frage. Die Unternehmen müssen ihre Arbeitsweisen an die Marktdynamik anpassen oder sie verschwinden vollständig vom Markt.
Einen besonderen Stellenwert bei der Gestaltung der Veränderung nehmen Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern ein. Die meisten Unternehmen behaupten für sich, offen und fortschrittlich zu sein. Wirft man aber einen Blick darauf, wie die Sozialpartner in den Betrieben Veränderungen verhandeln, relativiert sich diese Aussage. Denn die Versuche der Konfliktlösung funktionieren insbesondere bei Verhandlung mit den Sozialpartnern eher „klassisch“.
Konkret zeigt sich dies dadurch, dass Positionen gegeneinander vorgebracht werden und dann häufig ein Kräftemessen stattfindet. Dieses folgt meist Prinzipien wie „Druck- und Gegendruck“, „Gewinnen und Verlieren“ sowie „Stark und Schwach“. Damit entspricht es eher dem Modell des orientalischen Basars oder der archaischen Entwicklungsstufe von Gesellschaft und Organisation (rot) statt einem modernen Führungsanspruch (grün/blau). (Abbildung 1).
Vertraut, aber nicht sinnvoll
Warum eignet sich das oftmals bewährte „rote Vorgehen“ für die aktuell anstehenden Transformationen nicht? Kurz gesagt: es ist sowohl ineffizient als auch kontraproduktiv:
Je extremer die Ausgangspositionen und je kleiner einzelne Zugeständnisse in der Verhandlung sind, desto langwieriger gestaltet sich der Prozess. Oft kommt es aus taktischen Gründen zu Verzögerungen. Außerdem verwenden die Beteiligten viel Zeit darauf, um Details zu feilschen und Bündnisse zu schmieden. Vielfach zerstört auch ein Verhandlungsgebaren, das von Drohungen, Kampf und Rachegefühlen geprägt ist, die Gesprächsbeziehungen. Eine gute Gesprächsbasis ist aber gerade in dynamischen Zeiten unerlässlich, um gemeinsam hochkomplexe Veränderungen umzusetzen.
Das Spielfeld wechseln: Abschichten und iterativ Interessen verhandeln
Hochentwickelte Organisationen benötigen einen ganzheitlichen Blick und ein empowertes Verhandlungsteam, um Lösungen zu erzielen, die für beide Seiten gut sind. Prozessual bedeutet dies die Abkehr vom Feilschen um Positionen zugunsten eines mediativen und inhaltlich abgeschichteten Vorgehens im Prozess der Transformation (Abbildung 2).
Dieses Vorgehen hat für die Gespräche zwischen Unternehmensleitung und Arbeitnehmervertretern drei Elemente. Dies ist auf der inhaltlichen Seite zunächst die Abschichtung der Gesprächsthemen auf der Agenda der Sozialpartnergespräche „von oben nach unten“. Dies bedeutet insbesondere, dass die Gesprächspartner sukzessive eine gemeinsame Sicht der Unternehmensvision entwickeln müssen. Dazu gehören auch die mittelfristigen Ziele der Transformation und die Kernelemente der Veränderung.
Erst dann geht es darum, zusammen einzelne Umsetzungsschritte zu definieren. So könnte ein Automobilzulieferer zum Beispiel das Ziel verfolgen, statt eines Teileherstellers ein flexibler, breit aufgestellter Partner für (teil-)automatisierte Transportdienstleistungen zu werden. Große inhaltliche Blöcke der Ziele sind oft die finanzielle Situation (zum Beispiel Ertrags- und Kostenquoten oder Aktienkurs), das Geschäftsmodell, die Personalsituation und die Fähigkeit für aktuelle beziehungsweise künftige Veränderungsprozesse.
Zu den strategischen Eckpfeilern unterhalb der Zielebene gehören der sozialverträgliche Personalabbau, die Bindung kritischer Personalressourcen, die Wahrung der operativen Stabilität oder der Erhalt der Marke am Recruiting-Markt. Diese strategischen Eckpfeiler stellen einen Bezugspunkt für die gesamte Transformation und deren Umsetzung dar.
Synthese der individuellen Vorstellungen finden
Bei der gemeinsamen Gestaltung des Weges geht es im Kern um die Synthese individueller Vorstellungen, welche die beteiligten Parteien auf der inhaltlichen Ebene eingebracht haben. Die tatsächliche Diskussion muss allerdings auf der Ebene der Interessen stattfinden. Das schafft die Grundlage dafür, dass Unternehmen die Kreativität und Intelligenz aller Beteiligter nutzen können, um die Transformation zu begleiten. Außerdem erhöht sich der Einigungsspielraum dadurch massiv. Die Lösungsideen werden dann in einer Vereinbarung für jede der inhaltlichen Ebenen priorisiert, ausverhandelt und dokumentiert.
Konkret bedeutet dies zum Beispiel, nicht über den Abbau von 2.000 Mitarbeitern zu verhandeln, sondern über das Interesse des Unternehmens, jährliche Kosten von zum Beispiel 100 Millionen Euro zu reduzieren. Dieser Ansatz eröffnet die Möglichkeit, weitere Ideen zur Kostensenkung wie Arbeitszeitverkürzung oder geförderte Teilzeitmodelle sowie Wachstumschancen zu diskutieren anstatt statt über den Umfang des Personalabbaus zu feilschen. Diese Diskussionen erlauben dann auch die Interessen der Arbeitnehmerseite – Schutz der Kollegen vor Kündigung – ohne ein „entweder-oder“ abzubilden.
Um es deutlich zu sagen: Es geht keineswegs darum, Positionen oder Interessen aufzugeben, sondern sie explizit zu machen und eine geschickte, bestmögliche Synthese in einer neuen, bislang noch nicht gedachten Lösung zu finden. Im obigen Beispiel ist dies zum Beispiel das Erschließen von Wachstumschancen, die beide Interessen integriert.
Das klingt einfach, ist es aber nicht. Gerade in Unternehmen mit wenig Erfahrung in diesem Vorgehen wird dies im Sinne einer Prozessunterstützung durch einen externen Mediator methodisch und prozessual gesteuert. Zudem hat nur dieser die Möglichkeit, vertrauliche Sondierungs-Einzelgespräche zu führen – anders als vielleicht ein Schlichter aber nicht in der Absicht, eine Entscheidung abzunehmen, sondern um kritische Themen und Interessen herauszuarbeiten.
Das neue Gesprächsformat als Impuls für Transformation
Welche Ansatzpunkte gibt es, damit die Beteiligten an den Tisch kommen? Erfahrungsgemäß gibt es zwei Gründe die es verhindern:
1. Fehlendes Verständnis zum Vorgehen und daher Vorbehalte (zum Beispiel, dass der Eindruck einer „Kungelei“ entsteht oder dass jemand Drittes die Entscheidungen aus der Hand nimmt).
2. Handfeste Interessen, die dem entgegenstehen (zum Beispiel politisch-taktische Erwägungen oder das Einbeziehen von Stakeholdern in den Verhandlungsprozess).
Wie lassen sich die beiden Hindernisse angehen? Im Idealfall hat sich über die Jahre ein starkes Vertrauensverhältnis zwischen den Sozialpartnern im Unternehmen gebildet, so dass ein Gespräch im Sinne des erstgenannten Problems ein gemeinsames Verständnis schaffen und Vorbehalte aufgreifen kann. Im Fall einer stark eskalierten Beziehung zwischen den Beteiligten ist es denkbar, bereits hier einen neutralen Dritten einzubinden.
Wenn einem Dialog Interessen und taktische Erwägungen entgegenstehen, sollten Unternehmen dies als Ausgangspunkt für einen ersten Interessenaustausch nutzen – und zwar zur Einigung über die Ausgestaltung des Verfahrens. Bereits hier sollten sie zum Beispiel die Kommunikationshoheit besprechen. Auf diese Weise besteht die Möglichkeit ein „erstes Erfolgserlebnis“ zu schaffen und gleichzeitig die Eintrittshürde zu senken. Auch dies fällt umso leichter, je positiver die Gesprächsbeziehung in Hinblick auf Offenheit und gegenseitiges Vertrauen ist.
Fazit
In jedem Fall ist es die Mühe wert. Allein das positive Signal einer konstruktiven Veränderung, das von der Einigung auf ein neues Verfahren in die Organisation geht, ist nicht zu unterschätzen. Neben Geschwindigkeit und Etablierung einer tragfähigen Arbeitsbeziehung zwischen den Sozialpartnern schafft das Unternehmen damit auch einen sichtbaren Aufbruch und füllt gleichzeitig den Anspruch der Mitbestimmung auf Beratung und Mitwirkung mit Leben.