Aus Tirol in die Welt: Internationale Personalarbeit bei EGGER


EGGER ist ein Familienunternehmen – und eine internationale Firmengruppe. 1961 in St. Johann in Tirol gegründet, unterhält der Holzwerkstoffhersteller heute 22 Werke und 19 Vertriebsbüros in verschiedenen Ländern der Welt. Die meisten sind in Europa. Aber auch in den USA, Argentinien und China ist EGGER aktiv. Wie das Personalmanagement für die rund 11.000 Beschäftigten funktioniert, beschreibt Petra Reiner, Head of Corporate HR.

Frau Reiner, ist die Personalarbeit bei der EGGER-Gruppe eher lokal oder global organisiert?

Wir haben Unternehmensstandards, die wir bei Bedarf an lokale Gegebenheiten anpassen. Das gilt für HR ebenso wie für andere Unternehmensprozesse. Diese Standardisierung hat zum Teil praktische Gründe. Denn wir nutzen in allen Ländern dieselben Systeme, Maschinen und Produktionsweisen. Darüber hinaus wollen wir aber auch die Werte unseres Familienunternehmens in alle EGGER-Standorte bringen.

Diese Art der Standardisierung wird aus meiner Sicht an Bedeutung gewinnen – und das hängt vor allem mit der Digitalisierung zusammen. Wenn wir Systeme effizient nutzen möchten, müssen wir uns auf Standards einigen. Ansonsten funktionieren die Systeme nicht oder werden so komplex, dass sie nicht steuerbar sind. Ein weiterer Grund ist die wachsende Mobilität der Arbeitskräfte. Bei uns kommt es immer wieder vor, dass Mitarbeitende in ein Werk in einem anderen Land wechseln. Diese Entwicklung wird sich durch den Arbeitskräftemangel in Europa weiter fortsetzen.

Petra Rainer, Head of Corporate HR, EGGER

Sie haben gesagt, dass Sie bei Bedarf von den Unternehmensstandards abweichen. Bei welchen HR-Themen nehmen Sie lokale Anpassungen vor?

Alles, was mit dem lokalen Arbeits- oder Sozialversicherungsrecht stark verbunden ist, müssen wir lokal behandeln. Dazu gehört zum Beispiel der Bereich Vergütung und Benefits. Wir haben zwar einen globalen Benchmark-Anbieter, müssen aber immer schauen, dass wir einen lokalen Benchmark identifizieren, um ein attraktives Lohnmodell vor Ort zu schaffen. Wir können nicht in den großen Metropolen rekrutieren, da unsere Werke oft auf dem Land angesiedelt sind – eben dort, wo wir nah an unserem wichtigsten Rohstoff Holz sind. Dort sind wir zwar lokal eine starke Arbeitgebermarke, haben aber ein eher geringes Einzugsgebiet. So müssen wir umso mehr schauen, dass wir als Arbeitgeber attraktiv bleiben.

Was unternehmen Sie, um als Arbeitgeber attraktiv zu sein?

Zum einen prüfen wir sehr regelmäßig, ob unsere Standorte die Extra-Aufwände, die durch die Schichtarbeit für die Mitarbeitenden entstehen, ausreichend vergüten. Außerdem flexibilisieren wir die Schichten. In Deutschland können Mitarbeitende bereits wählen, wie viele und welche Schichten sie in der nächsten Planungsperiode übernehmen möchten. Das wollen wir in allen Ländern umsetzen. Darüber hinaus denken wir darüber nach, an bestimmten Standorten, an denen das Recruiting immer schwieriger wird, Wohnungen für Mitarbeitende anzubieten, was im Tourismus ja schon üblich ist.

Der Firmensitz von EGGER in Tirol

Unterscheidet sich Ihr Recruiting international?

Ja, denn die Arbeitsmärkte sind sehr unterschiedlich. In der Türkei und in Argentinien ist es aktuell nicht schwierig, Personal zu finden. Dort läuft das Recruiting super. In anderen Ländern – insbesondere in Deutschland – ist der Arbeitskräftemangel eine Herausforderung. Wir suchen viele gewerbliche Mitarbeiter:innen für die Schichtarbeit – und diese finden wir nicht auf LinkedIn. Stattdessen nutzen wir andere soziale Medien – je nach Land unterscheiden sich die Kanäle. Aber insgesamt sind Social Media Recruiting und Mitarbeiterempfehlungsprogramme für uns sehr wichtig.

Haben Sie in jedem Land lokale Ansprechpartner:innen für Recruiting und HR?

Wir haben in jedem Land, in dem wir ein oder mehrere Werke unterhalten, ein HR-Team mit eigener Abrechnung und Ansprechpartner:innen für alle personalbezogenen Themen, darunter einen Personalleiter oder eine Personalleiterin. Die HR-Leitungen sind mir fachlich unterstellt. Mein Team ist für die globale Personalarbeit zuständig. Wir übernehmen das Entsendemanagement und entwickeln globale Standards, Prozesse und Systeme, die Effizienz und Qualität heben sollen. Ebenso organisieren wir globale Entwicklungsprogramme für Trainees bis zum Top-Management.

Können Sie dazu ein Beispiel beschreiben?

Wir von Corporate HR haben häufig eine eher moderierende Rolle. Wenn wir ein neues Recruitingtool einführen, müssen wir mit den lokalen HR-Verantwortlichen sicherstellen, dass dieses System alle lokalen Gegebenheiten berücksichtigt. Wir organisieren Schulungen und messen nach dem Roll-out, ob und wie die Prozessqualität durch die neue Softwarelösung gestiegen ist. Wer nutzt das Tool wie gut? Wie entwickelt sich die Time-to-hire? Wie schnell reagieren wir auf Bewerbungen? Insgesamt sind Kennzahlen in dieser Hinsicht ein wichtiger Kompass für uns.

Bei der länderübergreifenden Personalarbeit entstehen sicher auch Reibungen. Wie gehen Sie mit Differenzen zwischen lokaler und globaler HR um?

Als ich zu EGGER kam, gab es tatsächlich ein paar Reibungen zwischen den Ländern und Corporate HR. Die lokalen HR-Verantwortlichen hatten zuweilen das Gefühl, dass die „Zentrale  zu weit weg vom operativen Geschäft sei“, während die globale HR der Ansicht war, dass „die Lokalen“ manchmal nicht machen, was sie sollen. Das haben wir gelöst: durch klare Verantwortungen und Stärkung der Zusammenarbeit an globalen Projekten.

Wie sind Sie dabei vorgegangen?

Wir haben heute für Bereiche wie Recruiting, Personalentwicklung oder HR Analytics jeweils eine Ansprechperson pro Land. So arbeiten die Recruiting-Verantwortlichen der Länder daran, dass der Regelprozess im Recruiting funktioniert. Sie sind dafür verantwortlich, dass dieser Prozess die Bedürfnisse ihrer Länder berücksichtigt. Umgekehrt müssen sie auch ihre Kolleg:innen aus dem HR-Team informieren, wenn es globale Änderungen gibt, die das Recruiting betreffen.

Das heißt: Klare Verantwortlichkeiten und ein intensiver Austausch sind Schlüssel, um Konflikte in der internationalen Personalarbeit zu vermeiden?

Absolut – und Einbindung. Ich glaube, das Schlimmste ist, wenn HR im Corporate-Bereich der Meinung ist, „Wir wissen eh, was alle brauchen“, und die Länder dann zwangsbeglückt mit einem Prozess, de zu sehr aus Sicht des Headquarters gedacht ist. Das mag funktionieren, wenn die Länder relativ ähnlich sind. Aber wir haben mittlerweile so unterschiedliche Rahmenbedingungen, Arbeitsmärkte und Kulturen, dass so ein Vorgehen nicht zielführend ist.

Wie beugen Sie interkulturellen Missverständnissen und Konflikten vor?

Wir haben interkulturelle Trainings für Personen, die viel mit bestimmten Ländern zu tun haben – und das ist aus meiner Sicht auch sehr hilfreich. Ein gutes Beispiel sind die USA, die uns vermeintlich so vertraut sind, doch in ihrer Umgangs- und Arbeitsweise mitunter auch anders. Neben gezielten Trainings fangen wir kulturelle Unterschiede vor allem ab, indem wir im Gespräch bleiben über die unterschiedlichen Bedürfnisse der Länder. Neue Personalleiter:innen laden wir zudem eine Woche nach St. Johann in Tirol ein, damit sie ganz intensiv die Unternehmensprozesse mitbekommen.

Was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen der internationalen Personalarbeit?

Ich glaube, die größte Herausforderung besteht darin, die richtigen Prozesse zu standardisieren und dann in allen Ländern zu leben. Kontraproduktiv ist es, globale Scheinprozesse zu definieren, die lokal umgangen werden. Denn dann stecken Unternehmen Aufwand in einen Prozess, der lokal keinen Mehrwert bietet. Die Umsetzung vor Ort ist wichtig. Und sie gelingt am besten, wenn wir eine moderierende Rolle einnehmen. Unsere Aufgabe besteht darin, mit den Ländern gemeinsam Vorgehensweisen zu entwickeln und lokale Best Practices international sichtbar zu machen. Wenn also ein Land extrem gut in einem bestimmten Prozess ist, wollen wir alle von dieser Vorgehensweise lernen. Natürlich müssen wir manchmal strikte Vorgaben machen. Aber das sollte nur einen geringen Teil unserer Zusammenarbeit ausmachen.

Interview: Bettina Geuenich

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Bettina Geuenich

Chefredakteurin bei personal manager
Bettina Geuenich ist die Chefredakteurin der Fachzeitschrift und des Blogs personal manager. Sie beobachtet seit über 20 Jahren die HR-Szene in Österreich und schreibt darüber.