Team Learning und Learnfluencer: Wie Unternehmen eine positive Lernkultur fördern können

Cornelia Hattula im Interview

Cornelia Hattula leitet den Bereich „Produktinnovation“ innerhalb der Akademiensparte des Klett-Konzerns. Im Nebenberuf ist sie Trainerin und Impulsgeberin rund um New Corporate Learning, Team Learning und agiles Lernen. Ihre Lernansätze und Denkanstöße teilt sie zudem unter anderem über Keynotes, ihren Podcast „Was lernst Du?“ sowie ihr neues digitales Magazin („Learnazine“) zum Thema Corporate Learning. Wie Unternehmen ihre Lernformate innovativer gestalten können, erklärt sie im Interview.

Frau Hattula, woran hapert es im Corporate Learning besonders häufig?

Viele Unternehmen haben keine förderliche Lernkultur. Sie betrachten Lernen primär als Pflichtprogramm und Zeitfresser. Wertschätzung erfahre ich in Unternehmen meist nicht, wenn ich mich weiterbilde, sondern wenn ich den ganzen Tag von Meeting zu Meeting hetze und komplett durchgetaktet bin, sodass ich nur in den Randzeiten produktiv arbeiten kann. Wo soll dann die Zeit herkommen, um meine Arbeit zu reflektieren und mir neue Dinge anzueignen? Erschwerend hinzu kommt, dass ein großer Teil der Trainings nicht wirksam ist. Da werden die Teilnehmenden zwei Tage lang mit Wissen druckbetankt, können aber viele Inhalte im Alltag nicht nutzen. So verursachen Weiterbildungen einen riesen Kostenblock, der den Unternehmen nur wenig realen Mehrwert bietet. Daher kann ich verstehen, dass einige Führungskräfte verhalten enthusiastisch sind, wenn es darum geht, ihre Mitarbeitenden in Trainings zu schicken.

Wie können sie gegensteuern?

Sie können selbstbestimmtes Lernen fördern. Aber dieses Konzept aus dem New-Work-Bereich funktioniert ehrlicherweise auch nur, wenn einige Rahmenbedingungen gegeben sind. Einerseits müssen Unternehmen vorher aus der Vogelperspektive definieren, welche Kernkompetenzen sie in den nächsten Jahren benötigen. Das ist eine Managementaufgabe. Im nächsten Schritt sind dann Teams in der Verantwortung, zu prüfen, welche dieser Kompetenzen für ihren Aufgabenbereich relevant sind. Im dritten Schritt ist dann das Individuum verantwortlich zu evaluieren, wo persönliche Entwicklungsfelder liegen. Dafür müssen sich die Mitarbeitenden aber intensiv selbst reflektieren und ihr Lernverhalten analysieren. Das klingt trivial, ist es aber nicht.

Inwiefern ist es nicht trivial?

Die meisten Menschen wissen nicht, wie sie am besten lernen. Sie müssen erst einmal herausfinden, in welchen Situationen und mit welchen Medien ihnen das Lernen leichtfällt. Für mich funktionieren beispielsweise klassische E-Learnings nicht, die ich alleine durchklicken muss. Sehr gut lernen kann ich aber über Podcasts und über Zwiegespräche mit anderen.

Wie man leicht und gerne lernt, muss jede:r für sich selbst herausfinden, das setzt unterschiedliche Lernerfahrungen voraus. Genauso wichtig ist es aber, zu reflektieren, wann ich realistisch gesehen Zeit habe, zu lernen. Wenn ich 80 Prozent meiner Arbeitszeit in Meetings sitze, ist es unrealistisch, dass ich mir einen halben Tag pro Woche Lernzeit nehme. Aber ich kann mir 15-minütige Lernzeiten einräumen, in denen ich einen Podcast höre oder einen Artikel lese. Unternehmen können ihre Mitarbeitenden dabei unterstützen, ihr Lernverhalten zu analysieren und Lernzeiten einzuplanen, indem sie ihnen dafür Freiräume geben und sie in diesem Prozess begleiten. Außerdem können sie Team Learning fördern.

Wie funktioniert Team Learning?

Beim Team Learning geht es darum, dass sich Teams gemeinsam Inhalte aneignen. Wichtig und abgrenzend zu „klassischen“ Peer-Learning-Konzepten ist, dass die Teams beim Team Learning ein gemeinsames Lernziel haben und sich diesem in einem für ihren konkreten Anwendungsfall passenden, gemeinsamen Format nähern. Ein solches kann beispielsweise ein Learning-Circle-Format sein. Hier wird einerseits existierender Lernstoff für das Team zunächst auf verdaubare Lern-Nuggets über mehrere Wochen verteilt. Diesen Lernstoff bereiten die Teammitglieder im Selbststudium vor und reflektieren ihn in einem wöchentlichen Circle-Treffen, um dann kleine Anwendungsaufgaben für die Folgewoche abzuleiten. Es geht um innovative Formate, die so kleinteilig sind, dass sie in den Arbeitsalltag hineinpassen und auch einen Lernerfolg kreieren.

Können Sie ein Beispiel geben?

Wenn sich ein Team agilen Arbeitsweisen nähern möchte, kann es die zugrundeliegende Denkhaltung beispielsweise durch das Lernformat Buchclub entwickeln. Als Vorbereitung auf agile Zusammenarbeit bietet sich das Konzept „Getting Things Done“ an – und diesem kann man sich beispielsweise durch das gemeinsame Lesen und Anwenden der gleichnamigen Buchanleitung von David Allen nähern. Das Team schafft dieses Buch für alle Mitglieder an und setzt sich einmal in der Woche zusammen, um über jeweils ein Kapitel zu sprechen, Erkenntnisse herauszuarbeiten und kleine Experimente abzuleiten. Am Ende hat dieses Team bei einem harten Invest von vielleicht 100 Euro durch die gemeinsame Auseinandersetzung mit dem Konzept „GTD“ begonnen, die grundlegende Denkhaltung hinter agilen Arbeitsweisen zu entwickeln.

Welche weiteren Formate für Team Learning haben sich in der Praxis bewährt?

Neben dem Buchclub-Format gibt es das bereits erwähnte Learning-Circle-Konzept. Damit arbeitet Continental sehr viel. Die Lernzirkel sind dem Buchclub sehr ähnlich, nur dass die Teams kein Buch lesen, sondern einen Online-Lernpfad in kleine Einheiten zerteilen. Zudem hat die Deutsche Telekom große informelle Lernprogramme gestartet, bei denen Mitarbeitende für Kolleg:innen kleine Talks zu ihren Experten-Themen anbieten – von Datensicherheit über Projektmanagement bis zu Excel-Hacks. Ein weiteres Beispiel sind Lerncoachings, wie sie das Münchner Unternehmen Quality Minds im Einsatz hat. Bei ihnen hat jedes Teammitglied Anspruch auf einen Lerncoach, der dabei hilft, persönliche Lernstrategien zu entwickeln.

Was sind Erfolgsfaktoren für Team Learning?

Zum einen sollte man sich nicht zu viel vornehmen. Ich würde zwei oder maximal drei Lernthemen pro Jahr fokussieren – und diese quartalsweise angehen. Zum anderen sollte der Team Lead integraler Bestandteil der Lernformate sein. Zuletzt geht es darum, faktischen „Lernraum“ zu schaffen. Auch dies ist im Team möglich. Ich treffe mich beispielsweise mit meinem Team wöchentlich zu einem „Learnathon“ per Videocall. Dabei lernt jede:r für sich alleine an seinen eigenen Lernthemen. Es ist im Prinzip so, als würde man sich in der Bibliothek verabreden, um dort zu lernen. Das funktioniert sehr gut, weil dieser fixe Termin im Kalender steht, und es hat eine gewisse Verbindlichkeit, weil man verabredet ist.


Welche Idee zum Thema Lernkultur würden Sie gerne mit möglichst vielen Unternehmen teilen?
Ich finde, dass wir mehr „Learnfluencer“ brauchen, die in Unternehmen offen darüber sprechen, wie sie lernen, welche Lernformate für sie gut funktionieren und wie sie sich Lerninseln im Arbeitsalltag schaffen. Denn ähnlich wie beim Influencing kann ich über das Teilen meines eigenen Lernens den Kollegen und Kolleginnen den Mut vermitteln, sich ebenfalls mit ihren Lernthemen zu beschäftigen, und so eine Sogwirkung entwickeln. Dafür braucht es natürlich psychologische Sicherheit. Denn als Learnfluencerin zeige ich, dass ich Lernfelder habe. Auf der anderen Seite kann ich so Themen und Trends setzen. Ich kann zum Beispiel zeigen, dass Lernen nicht nur Onlinekurse oder Präsenztrainings beinhaltet.

Lernen kann auch ein kleiner Input im Arbeitsalltag sein. Und Learnfluencing kann in ganz kleinen Impulsen geschehen. So kann ich beispielsweise am Anfang von jedem Teammeeting eine kurze Lerneinheit einbauen, bei der alle gleichzeitig in den Chat schreiben, was sie in der aktuellen Woche zum Nachdenken angeregt hat. So erhält das Team eine ganze Liste an Lerninspirationen. Ich kann meine aktuellen Lernimpulse auch per E-Mail-Signatur teilen, in meinen Teams- oder Slack-Status schreiben und auf Podcasts oder andere Materialien verlinken. Das ist in wenigen Sekunden gemacht. Und in Summe können diese vielen Impulse dazu beitragen, dass in einem Unternehmen ein Momentum entsteht.

Interview: Bettina Geuenich

Dieser Artikel stammt aus der personal manager Ausgabe 5/24

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Bettina Geuenich

Chefredakteurin bei personal manager
Bettina Geuenich ist die Chefredakteurin der Fachzeitschrift und des Blogs personal manager. Sie beobachtet seit über 20 Jahren die HR-Szene in Österreich und schreibt darüber.