Agilität – also die Fähigkeit, flexibel und schnell auf Veränderungen zu reagieren – ist längst mehr als ein Trend. In einer Welt, die von Unsicherheit, Komplexität und ständiger Veränderung geprägt ist (Stichwort VUCA), suchen viele Unternehmen nach Wegen, agiler zu werden. Doch was bedeutet das konkret für das Human Resource Management und wie weit ist die HRM-Praxis tatsächlich?
In einer Zeit, in der Automatisierung und künstliche Intelligenz (KI) im Recruiting zunehmen, gewinnt die persönlichOrganisationen, die sich in einem dynamischen Umfeld behaupten wollen, müssen Veränderungen frühzeitig erkennen und flexibel darauf reagieren beziehungsweise diesen proaktiv begegnen. Genau hier setzt Agilität an. Doch was bedeutet Agilität? Hier wird häufig zwischen Being Agile und Doing Agile unterschieden.
Zum Bereich Being Agile gehören agile Werte, welche die Grundlage für sogenannte agile Prinzipien sind. Diese Prinzipien helfen dabei, Werte umzusetzen. So können Organisationen den Wert „Offenheit“ durch das Prinzip „regelmäßige Feedbackzyklen“ leben.
Wie Unternehmen Agilität konkret realisieren, fällt in den Bereich Doing Agile, zu dem agile Methoden und Praktiken gehören. Agile Praktiken sind iterative Ansätze für Aufgaben und Teamarbeit, zum Beispiel definierte Meetingarten wie „Daily Stand-up“ oder „Retrospektive“. Während Daily Stand-ups häufig im Stehen stattfinden und dem kurzen Austausch über aktuelle Fortschritte dienen, reflektieren Teams in Retrospektiven, was sie bezüglich der Zusammenarbeit verbessern könnten. Diese Praktiken sind Teil agiler Methoden wie zum Beispiel Scrum, Kanban oder Design Thinking. Sie sind iterativ, weil sie Verbesserungen in vielen kleinen Schritten und durch Wiederholungsschleifen erzielen.
Definiert man Agilität als die Fähigkeit einer Organisation und ihrer Mitglieder, sich schnell und kontinuierlich an Markt- und Umweltveränderungen anzupassen und dadurch ihre Widerstandsfähigkeit zu erhöhen, stellt sich die Frage, was dies für das Human Resource Management einer Organisation bedeuten kann.
Das HRM ist auf drei Ebenen gefordert: als Transformationsförderer und -gestalter, in den HR-Instrumenten und -Prozessen sowie bezogen auf die eigene HR-Organisation.
Wenn die Organisation als Ganzes oder in einzelnen Bereichen agiler werden möchte, kann das Personalmanagement einen wichtigen Beitrag in diesem Transformationsprozess leisten, indem es seine Aufgaben als Change Agent in der Transformationsgestaltung sowie in der Organisations- und Personalentwicklung wahrnimmt. So trägt HR dazu bei, die Veränderung zu begleiten und zu gestalten. Ansatzpunkte hierfür liegen in Strategie, Struktur, Kultur, Führung, Prozessen sowie den HR-Instrumenten selbst (Häusling & Fischer 2020; Stock-Homburg & Gross 2009).
Eine aktuelle Studie von Rother & Mücke (2024) aus der Schweiz zeigt, dass das HRM diese Rolle als Transformationsförderer und -gestalter bereits in vielen Organisationen einnimmt. In zwei Drittel der befragten Unternehmen ist Agilität im HRM ein aktuelles Thema. 60 Prozent davon geben an, dass das HR-Management eine zentrale Rolle bei der agilen Transformation der gesamten Organisation oder einzelner Einheiten spielt. 36 Prozent qualifizieren ihre Führungskräfte aktiv zum Thema Agilität, 30 Prozent auch ihre Mitarbeitenden.
HRM – First Mover oder Second Follower?
Wie sich das HRM in einer solchen Transformation positioniert, ob als „First Mover“, der Agilität anstößt und proaktiv vorantreibt, oder als „Second Follower“, der sich notgedrungen an veränderte Anforderungen des Business anpasst und nachzieht, ist in diesem Zusammenhang ebenfalls interessant (Häusling & Fischer 2020). Die Ergebnisse von Rother & Mücke (2024) deuten darauf hin, dass oftmals Letzteres gilt: 49 Prozent der Befragten nennen als Haupttreiber für die Beschäftigung des HRM mit Agilität das Bedürfnis des Business. 37 Prozent nennen agile Arbeitsweisen in einem Teil der Organisation als Grund für entsprechende Initiativen von HR. Das HRM ist somit häufig nicht die erste Instanz im Unternehmen, die Agilität vorantreibt. Weitere Treiber sind „Effizienzgewinne“ (45 Prozent), „die bisherige Arbeitsweise stieß an Grenzen“ (41 Prozent) sowie „Neues ausprobieren“ (39 Prozent).
2. Agilität in HR-Instrumenten und -Prozessen
Ein zentraler Ansatzpunkt des HRM für die Transformationsförderung und -gestaltung liegt in den HR-Instrumenten und -Prozessen selbst. In agil arbeitenden Unternehmen oder den jeweiligen Bereichen passen traditionell ausgerichtete HR-Prozesse und -Instrumente nicht oder zumindest für einen Teil der Organisation nicht mehr. Das Kundenbedürfnis und die Ansprüche an das HRM haben sich gewandelt und HR muss seine „Produkte“ wie zum Beispiel die Rekrutierung, die Personalentwicklung oder das Performancemanagement entsprechend anpassen. So verändern sich Karrierepfade und Entwicklungsmöglichkeiten bei der Umstellung auf agile Arbeitsweisen und auch das Vergütungsmodell muss ein Unternehmen neu denken, wenn sich klassische Hierarchien zugunsten von teambasierten Netzwerkstrukturen auflösen. Es stellt sich also die Frage, wie Organisationen die HR-Prozesse und die jeweiligen Instrumente in sich selbst agiler gestalten können, damit sie diese schneller und einfacher auf neue Umfeldbedingungen ausrichten können.
Dies scheint auch in der Praxis ein wichtiges Anliegen zu sein. In den von Rother und
Mücke befragten Organisationen geben rund die Hälfte an, HR-Prozesse und -Instrumente so zu gestalten, dass diese den Anforderungen einer (teilweise) agilen Organisation besser gerecht werden. Doch was heißt das konkret? Wie müssen nun HR-Prozesse konzipiert sein, damit sie den Anforderungen und Bedürfnissen einer agileren Organisation entsprechen und gleichzeitig in sich selbst agiler sind? Die Antwort auf die Frage ist: Es kommt darauf an – nämlich darauf, was die Anforderungen der jeweiligen Organisation sind. Einen konkreten Einblick, wie eine solche Neugestaltung aussehen kann, gibt das Beispiel der Mobiliar.
Fallbeispiel
Agile Rollenlandschaft bei der Mobiliar
Die Mobiliar, ein Schweizer Versicherer mit rund 6.500 Mitarbeitenden, setzt seit mehreren Jahren auf agiles Arbeiten. Über 1.000 Beschäftigte arbeiten dort in interdisziplinären Teams in einer Netzwerkstruktur. Gleichzeitig besteht eine klassische Linienorganisation, die Agilität, wo passend, ebenfalls anwendet. Dies bringt Chancen, aber auch die Herausforderung mit sich, den Anforderungen verschiedener Organisationsformen im Unternehmen gerecht zu werden, beispielsweise in Bezug auf Talentmanagement oder Laufbahnentwicklung.
Die klassische Funktionslandschaft entsprach irgendwann nicht mehr den veränderten Bedürfnissen aus dem agilen Umfeld: Die Rollen aus der Netzwerkorganisation waren nicht zentral abgebildet, nicht einheitlich beschrieben und teilweise auch unterschiedlich entlohnt. Gleichzeitig fehlte neben der Flexibilität auch die Definition eines Prozesses für die Übernahme von neuen Aufgaben. Ein klarer Prozess ist aber notwendig, um Rollenwechsel als Lernmöglichkeit und Entwicklungsschritt zu institutionalisieren.
Die Mobiliar hat daraufhin agile Rollen systematisch definiert und in die bestehende Funktionslandschaft integriert. Das Ziel war, alle Mitarbeitenden gleich zu behandeln und ein effizientes Zusammenspiel von Linie und Netzwerk zu ermöglichen. Dabei berücksichtigte das Unternehmen die folgenden Grundsätze und Rahmenbedingungen:
- Alle Mitarbeitenden haben eine Funktion (wie bisher), unabhängig davon, ob sie im Netzwerk oder in der Linie tätig sind. Die Funktion wird als erste Rolle gezählt.
- Rollen müssen mindestens 20 Prozent der Arbeitszeit ausmachen.
- Rollen sind analog wie Funktionen zu beschreiben, zu bewerten und einer Funktionsstufe zuzuordnen.
- Jede Person kann maximal drei Rollen übernehmen (wovon eine als Funktion gilt), um ein Verzetteln zu vermeiden.
- Rollen können die Mitarbeitenden jederzeit übernehmen. Sie führen zu keiner direkten Lohnanpassung. In den jährlichen Lohnrunden überprüft und entscheidet das Unternehmen, ob jemand in eine höhere oder tiefere Funktionsstufe wechselt.
So entstand eine Grundlage für eine flexible, agile Laufbahnentwicklung – horizontal wie vertikal. Besonders bewährt hat sich dabei der verbesserte Prozess für Funktions- und Rollenwechsel, die einheitliche Beschreibung sämtlicher agiler Rollen und die neuen Karrierepfade, welche den Mitarbeitenden durch die flexiblere Rollenlandschaft zugänglich wurden (Schneuwly 2024).
3. Agilität in der HR-Organisation
Bei der Umstellung auf agile Arbeitsweisen ist das HRM somit gefordert, die Transformation in der Organisation zu begleiten sowie die wesentlichen HR-Prozesse und -Instrumente agil zu gestalten. Die dritte und letzte Ebene betrifft das HRM selbst und die Frage, wie die HR-Organisation selbst agiler aufgestellt und gestaltet werden kann. Denn es ist wenig glaubwürdig, wenn Agilität für andere (Organisations-)Bereiche propagiert und gefördert wird, der eigene Bereich dies selbst aber nicht lebt. Hier zeigt sich in der Praxis Nachholbedarf. Von den Organisationen, die Rother und Mücke befragt haben, geben zwar 34 Prozent an, agile Methoden wie Kanban, Scrum oder Design Thinking in der Personalarbeit zu nutzen. Jedoch sind nur 18 Prozent der Personalabteilungen organisatorisch agil aufgestellt. Ein solches Beispiel ist die BLS AG, die mit rund 3.100 Mitarbeitenden eines der größten Verkehrsunternehmen der Schweiz ist. Sie hat ihr Personalmanagement in Rollen und Kreisen organisiert, die an das Konzept der Holakratie angelehnt sind.
Zentrales Element der Holakratie sind sogenannte Rollen, die aufgabenorientiert ausgerichtet sind und feste Verantwortlichkeiten haben. Rollen und Personen werden klar voneinander getrennt. Die Rollen werden zu Kreisen gruppiert, die wiederum in größeren Kreisen gruppiert sind, bis hin zum umfassendsten Kreis, der die Gesamtorganisation repräsentiert. Die einzelnen Kreise organisieren sich selbst, sind aber gleichzeitig Teil eines größeren Kreises. Strukturierte Meetings sollen die Abstimmung sicherstellen: Governance Meetings zur Verfeinerung der Struktur des Kreises, Tactical Meetings haben einen Fokus auf dem operativen Geschäft (Robertson 2016).
Zusammenfassend schafft das HR-Management somit Rahmenbedingungen für Agilität und fungiert als interner Dienstleister beziehungsweise Dienstleisterin, der oder die anderen Organisationsbereichen dabei hilft, agiler zu werden („HR for agile“). Die HR-Organisation muss jedoch gleichzeitig bei sich selbst ansetzen und selbst agiler werden („Agile for HR“), denn dieser Aspekt scheint nach wie vor wenig in der Praxis verbreitet zu sein.
Entscheidend ist dabei: Agilität im HRM ist kein Selbstzweck. Sie muss zu den Anforderungen der jeweiligen Organisation passen. Agilität ist auch keine „Allzweckwaffe“, sondern es ist wichtig, sich der eigenen Anforderungen und Rahmenbedingungen bewusst zu sein, um entscheiden zu können, ob und in welchem Ausmaß Agilität in Personalarbeit und HR-Organisation sinnvoll ist oder nicht. Denn in einer fehlenden Passung liegt ein zentrales Risiko. Die von Rother und Mücke befragten Unternehmen sehen den größten Handlungsbedarf darin, ein agiles Mindset zu fördern und Kompetenzen für die agile Zusammenarbeit aufzubauen. Das gilt für die HR-Organisation selbst, aber auch für Mitarbeitende und Führungskräfte aus anderen Unternehmensbereichen. Für die Kulturentwicklung in Richtung Agilität sehen die Befragten Themen wie Fehlerkultur, kontinuierliches Lernen oder Offenheit für ein agiles Mindset als sehr erfolgskritisch an.
Fazit: Agilität ist ein Zukunftsthema ― auch im HRM
Agilität wird künftig weiter an Bedeutung gewinnen. 92 Prozent der von Rother & Mücke (2024) Befragten gehen davon aus, dass dies auf Organisationen zutrifft. 85 Prozent glauben, dass auch HR zunehmend agil arbeiten wird. Selbst von den Teilnehmenden, die derzeit nicht agil arbeiten, gehen knapp zwei Drittel davon aus, dass Agilität in den nächsten drei Jahren ein Thema im HRM werden könnte. Wir dürfen somit auf künftige Entwicklungen gespannt sein.