Zum 7. Juni 2026 müssen die EU-Mitgliedsstaaten die EU-Entgelttransparenzrichtlinie in nationales Recht umsetzen. Die Direktive markiert einen bedeutenden Schritt in Richtung Gleichberechtigung, Gleichwertigkeit und Fairness am Arbeitsplatz. Auf Unternehmen kommen damit eine Menge Pflichten zu. Ohne eine unterstützende Unternehmenskultur bleiben Vergütungsprojekte jedoch wirkungslos.
Die EU-Entgelttransparenzrichtlinie verpflichtet alle Unternehmen, ihre Gehaltsstrukturen nachvollziehbar zu machen. Gemäß Artikel 6 der Direktive müssen Organisationen offenlegen, wie Entgelte festgesetzt werden und wie sie sich entwickeln. Dies gilt sowohl für das Grundgehalt als auch für alle variablen Gehaltsbestandteile und Sozialleistungen, sofern sie nicht für alle Mitarbeitenden gleich sind. Artikel 7 gibt Mitarbeitenden das Recht, über Gehaltskriterien sowie Vergleichswerte Auskunft zu erhalten.
Die Vorgaben zielen darauf ab, strukturelle Ungleichheiten bei der Vergütung sichtbar zu machen und langfristig zu beseitigen. Dies macht schon deutlich, dass es bei der Umsetzung der Richtlinie nicht nur um Zahlen und Gehälter geht. Vielmehr stehen die Gleichwertigkeit und Fairness beim Thema Vergütung entlang der gesamten Employee Journey im Fokus.
Was beeinflusst Entgelt(un)gleichheit?
Ein jährlicher Gender-Pay-Gap-Report, der fixe und variable Gehaltsbestandteile sowie quantifizierbare Benefits, die nur bestimmten Gruppen gewährt werden, unternehmens-
weit erhebt und auswertet, ist ein erster Schritt auf dem Weg zur Umsetzung der Direktive. Als Nächstes sollten Unternehmen die bestehende Jobarchitektur auf geschlechtsneutrale, objektive Kriterien hin überprüfen und mit klar definierten Gehaltsspannen für jeden Job-Level hinterlegen. Damit wären zumindest die technischen Anforderungen erfüllt. Viele Unternehmen unterschätzen jedoch, wie sehr kulturprägende Prozesse und gelebte Praktiken die Entgelt(un)gleichheit beeinflussen, selbst wenn sie nur indirekt mit dem Gender-Pay-Gap zu tun haben. Etablierte Beförderungsverfahren können beispielsweise den Unconscious Bias, also unbewusste Vorurteile, bei Beförderungsentscheidungen begünstigen. Eine Feedback- und Performancekultur, die unterschiedliche Bewertungslogiken bei Führungskräften zulässt, verhindert, dass Performanceziele sowie deren Bewertung vergleichbar sind. Eine intransparente Kommunikation über vakante Stellen und Entwicklungschancen sowie Gespräche zum Thema Gehalt, die nicht auf Augenhöhe stattfinden, verhindern ebenfalls Gleichwertigkeit und Fairness.
Ein Unternehmen kann auf dem Papier alle Anforderungen der Richtlinie erfüllen, und dennoch scheitert die nachhaltige Umsetzung, weil unsichbare kulturelle Faktoren diese behindern. Wer lediglich bestehende Gehaltslücken ausgleicht, ohne Prozesse und Denkweisen zu hinterfragen, wird im Folgejahr erneut mit Ungleichheiten konfrontiert sein. Um die Richtlinie nachhaltig umzusetzen, braucht es mehr als nur Einzelaktivitäten – es braucht einen kulturellen Wandel.
Changemanagement als Schlüssel zur erfolgreichen Umsetzung
Ohne eine kritische Auseinandersetzung mit der Unternehmenskultur und den zugrunde liegenden Prozessen bleibt jede Maßnahme zur Umsetzung der Richtlinie oberflächlich. Unternehmen sollten daher die Einführung einer fairen und transparenten Vergütung als Changemanagementprozess begreifen. Nur so gelingt ein nachhaltiger Kulturwandel.
Dieser ist notwendig, da Entgelttransparenz zwar Klarheit schafft, ohne begleitende Initiativen aber auch Mitarbeitende verunsichern oder Konflikte auslösen kann. Unternehmen stehen damit vor der Herausforderung, das Tabuthema Gehalt zu entemotionalisieren und sachlich zu behandeln. Dabei gilt: Es geht nicht um den Selbstwert der Person, sondern um den Marktwert der Position und den Mehrwert, den Mitarbeitende in ihrer Rolle leisten.
Rollen und Verantwortlichkeiten
Die erfolgreiche Umsetzung der Richtlinie gelingt nur, wenn alle relevanten Akteur:innen ihre Rolle innerhalb des Changeprozesses kennen und aktiv wahrnehmen. Eine klare Aufgabenverteilung schafft Orientierung und Verbindlichkeit.
People & Culture/HR ist für die Gesamtkoordination des Projekts verantwortlich. Dazu zählt auch das Anpassen von Richtlinien, Prozessen und Strukturen. HR steuert das Budget und initiiert die kommunikativen sowie kulturellen Changevorhaben.
Das Topmanagement gibt das strategische Narrativ vor, schafft Verbindlichkeit und setzt Impulse für den Kulturwandel. Die Führung auf oberster Ebene ist entscheidend für die Glaubwürdigkeit und Nachhaltigkeit der Umsetzung.
Die Führungskräfte machen die neuen Rahmenbedingungen für Mitarbeitende erlebbar. Sie sind zentrale Multiplikator:innen für Transparenz, Fairness und objektive Entscheidungsprozesse.
Mitarbeitende bringen wertvolle Perspektiven ein und helfen aktiv mit, die Employee Journey geschlechtsneutral und transparent zu gestalten. Ihre Rückmeldungen sind essenziell für die kontinuierliche Verbesserung.
Analyse des Status quo
Ein zentraler Erfolgsfaktor für die Umsetzung der EU-Entgelttransparenzrichtlinie ist das ehrliche Verständnis des Status quo im Unternehmen. Nur wer weiß, wo er steht, kann gezielt Veränderungen anstoßen. Ein erster Schritt ist es, die HR-Prozesse entlang der Employee Journey unter die Lupe zu nehmen. Denn jede Station der Employee Journey kann potenziell zu intransparenter oder nicht gleichwertiger Vergütung führen. Deshalb ist es entscheidend, alle relevanten HR-Prozesse systematisch zu analysieren und gegebenenfalls anzupassen. Die folgenden Leitfragen helfen, den aktuellen Stand zu erheben und transparente, objektive und geschlechtsneutrale Kriterien zu erarbeiten. Sie bilden die Grundlage für eine neue Qualität in der Kommunikation zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden in Gehalts- und Entwicklungsgesprächen. Folgende Fragen können hilfreich sein:
- Gibt es eine strukturierte Jobarchitektur, die gleiche und gleichwertige Rollen sichtbar macht?
- Sind die Job-Levels mit nachvollziehbaren Gehaltsbandbreiten hinterlegt?
- Wird der Gender-Pay-Gap bereits nach den neuen EU-Vorgaben ausgewiesen?
- An welchen Punkten der Employee Journey bestehen noch intransparente oder geschlechtsbezogene Verzerrungen?
- Können Führungskräfte objektive und geschlechtsneutrale Kriterien benennen, die zu Gehaltserhöhungen oder Beförderungen führen?
- Werden rekrutierende Führungskräfte vor Interviews für mögliche Unconscious Bias sensibilisiert?
- Ist Führungskräften bewusst, dass Mitarbeitende ihre Leistung unterschiedlich sichtbar machen?
Vergütungsstrategie und EVP
Nach der Analyse des Status quo geht es an die Umsetzung. Eine faire und transparente Vergütungskultur braucht ein klares strategisches Fundament und muss mit der Employer Value Proposition (EVP), also dem Arbeitgeber-Werteversprechen, übereinstimmen sowie für alle Mitarbeitenden verständlich formuliert sein. Unternehmen, die zum Beispiel in ihrer Employer Brand marktübliche Vergütung versprechen, müssen demnach die Gehälter altgedienter Mitarbeitender gegebenenfalls an den Markt anpassen. Eine glaubwürdige Vergütungsstrategie schafft Orientierung, fördert Vertrauen und stärkt die Identifikation der Mitarbeitenden mit dem Unternehmen. Folgende Fragen können helfen, das Verhältnis von Anspruch und Realität zu überprüfen:
- Kennen und verstehen die Mitarbeitenden die EVP in Bezug auf die Vergütung?
- Stimmen die gelebte Vergütungspraxis und die kommunizierte Vergütungsphilosophie mit der EVP und der Employer Brand überein?
- Gibt es verbindliche, schriftlich dokumentierte und für alle zugängliche Leitlinien zur Vergütung?
- Unterstützt die Vergütungsstrategie die Umsetzung der EU-Entgelttransparenzrichtlinie?
Kommunikation und Beteiligung
Damit es nicht bei technischen Anpassungen gemäß der EU-Entgelttransparenzrichtlinie bleibt, sondern wirklich ein kultureller Wandel hin zu Transparenz, Gleichwertigkeit und Vertrauen gelingt, sind eine kontinuierliche Kommunikation und die aktive Beteiligung aller Betroffenen entscheidend. Folgende Vorgehensweisen sind für die Kommunikation empfehlenswert:
- Informieren Sie Führungskräfte und Mitarbeitende regelmäßig und verständlich über Anforderungen, Fortschritte und nächste Schritte.
- Binden Sie Mitarbeitende frühzeitig ein, nehmen Sie Bedenken ernst, adressieren Sie Ängste und schaffen Sie Raum für offene Dialoge.
- Holen Sie aktiv Feedback und Vorschläge ein und berücksichtigen Sie diese, wo möglich. Mitarbeitende können als Soundingboard fungieren und wertvolle Impulse geben.
- Führen Sie Pulse Checks, also regelmäßige, kurze Befragungen durch, wie die Beteiligten Klarheit, Fairness und Verständlichkeit der Vergütungsprozesse wahrnehmen. So lassen sich frühzeitig Optimierungspotenziale erkennen.
Führungskräfte schulen
Die Einführung von Lohntransparenz erfordert nicht nur strukturelle und prozessuale Anpassungen, sondern auch eine neue Art der Kommunikation. Gehalt ist ein emotional aufgeladenes Thema. Umso wichtiger ist es, eine sachliche, respektvolle und konsistente Dialogkultur zu etablieren. Führungskräfte und Mitarbeitende profitieren von folgenden Formaten:
- Fachliche Trainings für Führungskräfte und Mitarbeitende vermitteln Grundlagen zu allen Themen rund ums Gehalt: interne Vergütungsstrategie, interne Gehaltsprozesse, exemplarischer Ablauf fairer Gehaltsverhandlungen etc. Ziel ist ein gemeinsames Verständnis der Vergütungslogik.
- Workshops zum Unconscious Bias sensibilisieren und schulen Führungskräfte, eigene Denkmuster und Wahrnehmungen zu reflektieren und gezielt andere Perspektiven einzunehmen.
- In Leadership-Workshops stehen The-men wie Fehlerkultur, Feedback und Performancemanagement im Fokus. Führungskräfte lernen, dass Entscheidun-gen zu Beförderungen, Nachfolgeplanung und Entwicklungschancen künftig auf nachvollziehbaren, geschlechtsneutralen Kriterien basieren müssen.
Entgelttransparenz als Chance
Richtig umgesetzt, bietet Lohntransparenz Organisationen nicht nur regulatorische Sicherheit, sondern auch strategische Vorteile. Unternehmen können die Umsetzung der EU-Entgelttransparenzrichtlinie gezielt nutzen, um sich als attraktive Arbeitgeberin zu positionieren und langfristig Talente zu binden.
- Mitarbeitende langfristig halten
Transparente Karrierepfade und klare Gehaltsentwicklung fördern Eigenverantwortung und Motivation. Mitarbeitende wissen, wann und wie sie aufsteigen können und was das finanziell bedeutet.
- Einheitliche Performancekultur
Standardisierte Bewertungsprozesse ermöglichen faire Leistungsbeurteilungen und verhindern demotivierende Unterschiede zwischen Führungskräften. Das stärkt Vertrauen und reduziert subjektive Verzerrungen.
- Personalkosten im Griff behalten
Transparente Gehaltsrichtlinien verhindern überzogene Einzelentscheidungen und helfen, Personalkosten zu steuern. Ohne klare Regeln droht ein Gehaltschaos, das Fairness und Inklusion gefährdet und die Kosten in die Höhe treiben kann.
- DEI als Attraktivitätsfaktor
Ein Umfeld, das Diversity, Equity & Inclusion (DEI) lebt, wirkt anziehend auf Bewerber:innen. Equal Pay – also gleiche Bezahlung für gleiche oder gleichwertige Arbeit – ist dabei unverzichtbar.
Führen transparente Gehälter zu höheren Personalkosten?
Die Einführung von Entgelttransparenz wirft in vielen Unternehmen die Frage auf, ob dies finanziell überhaupt leistbar ist. Die folgenden vier Szenarien zeigen, wann Transparenz zu einem Kostenanstieg führen kann.
- Gehaltsanpassungen zur Mitarbeiterbindung
Liegt der Marktwert einer Position höher als das aktuell gezahlte Gehalt, müssen Unternehmen unter Umständen bestehende Mitarbeitende angleichen. Das gilt insbesondere dann, wenn neue Kandidat:innen bereits ein höheres Gehalt für dieselbe oder eine gleichwertige Position erhalten haben oder angeboten bekommen. Die arbeitspolitische Marktlage wird auf Dauer nicht als objektives Kriterium dienen können.
- Angleichung unterschiedlicher tariflicher Regelungen
In Konzernen mit mehreren Tochtergesellschaften können unterschiedliche Kollektiv- oder Tarifverträge zu Ungleichheiten führen. Eine freiwillige Harmonisierung kann kurzfristig Kosten verursachen.
- Transparente Gehaltsangaben in Stellenanzeigen
Wenn Unternehmen in Jobanzeigen nicht mehr nur das kollektivvertraglich festgelegte Minimum nennen, sondern realistische Gehaltsbandbreiten, kann dies zu einem Überbieten durch Mitbewerber:innen führen und damit zu einem Wettbewerb um höhere Gehälter.
- Unstrukturierte Einführung von Entgelttransparenz
Eine überstürzte Einführung ohne klare Prozesse, Kommunikation und kulturelle Vorbereitung kann zu Irritationen, Neid und Konflikten führen und im schlimms-ten Fall zu unkontrollierten Gehaltsanpassungen.
Fazit
Eine faire Vergütungskultur entsteht nicht durch Einzelaktivitäten, sondern in einem Changeprozess, der Transparenz und Objektivität in alle HR-Prozesse bringt. Nachhaltig umgesetzt ist Transparenz in der Vergütung für Unternehmen kein Risiko, sondern stärkt die Arbeitgebermarke, erhöht die Arbeitgeberattraktivität und fördert Mitarbeiterbindung, Fairness, Engagement sowie Produktivität.
Quelle: Dieser Artikel ist im personal manager, Ausgabe 6/2025 erschienen