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Führung hat einen großen Einfluss darauf, ob Menschen in einer Organisation bleiben und sich dort gerne einbringen. Entgegen einer weit verbreiteten Annahme ist dabei aber nicht nur das Verhalten einzelner Führungskräfte entscheidend, sondern das Zusammenspiel aller Beteiligten. Das Konzept „Living Leadership“ beschreibt Führung als Gemeinschaftsprozess. Wie dies auf Retention einzahlt, erklärt dieser Beitrag.
Führungsforschung und -praxis gehen mehrheitlich davon aus, dass es „geborene Führungskräfte“, „richtige Führungsstile“ und „machtlos Untergebene“ gibt – wider besseres Wissen und entgegen der Datenlage. Mit dieser Kritik trifft der Aufsatz „Zombie Leadership“ den Nagel auf den Kopf. Die Autoren Alexander Haslam, Mats Alvesson und Stephen D. Reicher bezeichnen damit aber keinen neuen Führungsstil, sondern eine nicht totzukriegende Vorstellung: die Sehnsucht nach einem Messias, der Organisationen aus dem apokalyptischen Albtraum (aka: Krise) führt.
Der Aufsatz aus dem Jahr 2024 schließt mit einem Aufruf, einen Gegenentwurf zu entwickeln, der unser Verständnis über den Fokus auf Führungspersonen hinaus verbreitert; der Leadership als einen Prozess entwirft, zu dem jede:r beitragen kann (und soll); und der anerkennt, dass Führungserfolg von allen Personen abhängt, die an ihm teilhaben.
Genau in diesem Sinne verstehen wir Führung als sozialen Prozess, über den Menschen gemeinsam Aufgaben erledigen und Ziele erreichen. Dieses Konzept nennen wir „Living Leadership“. Was die DNA dieses Führungsverständnisses ist und wie es auf Retention einzahlt, zeigt dieser Beitrag anhand von drei zentralen Elementen.
1. Soziale Interaktionen
Living Leadership basiert auf dem Gedanken, dass Führungsprozesse durch die sozialen Interaktionen zwischen allen Organisationsmitgliedern entstehen. Dieses dynamische Wechselspiel hat großen Einfluss darauf, wie stark sich die Mitarbeitenden der Organisation verbunden fühlen: Ob sie sich langfristig engagieren oder frühzeitig das Unternehmen verlassen, hängt maßgeblich davon ab, wie sie die sozialen Führungsprozesse erleben und ob die Organisation dabei in ihrer Wahrnehmung fair agiert.
Mitarbeitende wägen fortwährend ab, wie viel sie selbst investieren und welche Belohnung ihnen dafür zum Beispiel in Form von Gehalt, Anerkennung und Entwicklungsmöglichkeiten zustehen sollte. Dabei vergleichen sie sich mit relevanten Organisationsmitgliedern oder mit externen Benchmarks. Nehmen sie ein Ungleichgewicht wahr, fördert das Unzufriedenheit und kann schließlich zu einer Kündigung führen.
Die Herausforderung besteht darin, diese individuellen Wahrnehmungen zu verstehen und ihnen aktiv zu begegnen, um die Bindung der Beschäftigten zu steigern. Drei Dimensionen sind dafür relevant.
Transparenz: Klare und nachvollziehbare Strukturen können dazu beitragen, dass wir Führung als fair wahrnehmen. Dazu zählen objektive Kriterien für Gehalts- und Beförderungsentscheidungen, die das Unternehmen regelmäßig kommuniziert. In einem transparenten Umfeld wissen alle Beteiligten, auf welcher Basis Anerkennung und Vergütung erfolgen, wodurch sich Fehleinschätzungen und Missverständnisse minimieren lassen.
Dialog: Ebenso wichtig ist ein direkter Austausch zwischen Mitarbeitenden und Führenden über die empfundene Gerechtigkeit. Regelmäßige Feedbackgespräche sollten nicht allein die Leistung bewerten, sondern auch die Balance zwischen persönlichem Einsatz und wahrgenommener Anerkennung thematisieren. Entsprechende Gesprächsformate bieten den Raum, Unstimmigkeiten frühzeitig anzusprechen.
Beteiligung: Da das subjektive Empfinden von Gerechtigkeit stark variiert, empfiehlt es sich, unternehmensweit kollegiale Beratungsformate und Retrospektiven zu etablieren, in denen Organisationsmitglieder über Unterschiede in Wahrnehmung und Bewertung diskutieren können. Wenn diese Aushandlungen ein selbstverständlicher Bestandteil des Arbeitsalltags werden, sinkt die Hemmschwelle, Ungleichgewichte oder Missverständnisse anzusprechen. Gleichzeitig steigt die Bereitschaft, gemeinsam tragfähige Lösungen zu finden.
Das Gefühl von Fairness entsteht durch Transparenz, Dialog und Beteiligung. Diese Elemente fördern auch die Bindung von Mitarbeitenden.
2. Tätigkeitscharakteristika
Neben der sozialen Interaktion ist die Arbeit selbst ein wichtiger Bindungsfaktor. Living Leadership geht davon aus, dass Mitarbeitende ihre Jobs mitgestalten sollten. Der Charakter einer Tätigkeit sollte zum Gegenstand eines Aushandlungsprozesses aller Beteiligten werden. Drei Dimensionen spielen dabei eine wichtige Rolle.
Autonomie: Menschen sind engagierter, wenn sie selbstbestimmter arbeiten können. Daher macht es für Organisationen Sinn, Autonomie zu fördern. Sie können beispielsweise Zeiten einräumen, in denen Mitarbeitende eigene Ideen und Projekte verfolgen dürfen. Wenn Unternehmen die Beschäftigten verpflichten, ihre Arbeitsergebnisse zu präsentieren, können sie zusätzlich Verbindlichkeit schaffen und die Qualität der Resultate verbessern.
Bewältigung: Open-Source-Ansätze, wie beispielsweise die freie Enzyklopädie Wikipedia, zeigen, dass Selbstverpflichtung funktioniert, weil Menschen sich grundsätzlich gerne einbringen und verbessern. Diesen inneren Antrieb können Organisationen unterstützen, indem sie für regelmäßiges Feedback sorgen, das den Beschäftigten hilft, ihr Wissen und den eigenen Fortschritt zu reflektieren.
Sinn: Menschen sind überwiegend „purpose-driven“ und keine Profitmaximierer. Wer Leistung erwartet, muss daher Sinn bieten. So können Unternehmen effektivere und effizientere Arbeit fördern, (noch) bessere Talente anziehen und vor allem Bindung erzielen. Eine hohe intrinsische Motivation bildet gleichzeitig die profunde Basis für Hochleistung, gepaart mit hoher Zufriedenheit und geringeren Absentismus- beziehungsweise Fluktuationsraten.
Retention erfordert somit lebendige Umgebungen, die autonomes Handeln fordern und fördern, Menschen ermutigen, aus eigenem Antrieb Herausforderungen zu meistern und eine sprudelnde Quelle gegenseitiger Inspiration sind. Führung ist ein vitaler, schöpferischer sowie wiederkehrender Prozess, zu dem alle handelnden Akteure beitragen können.
3. Nachhaltige Karriere
Bindung erzeugen Organisationen aber nicht nur über soziale Interaktion oder das Ausgestalten der Tätigkeiten, sondern auch, indem sie Menschen dabei unterstützen, ihre Karrieren nachhaltig zu gestalten. Nachhaltigkeit bedeutet in diesem Zusammenhang, aktiv und selbstverantwortlich zu handeln, um langfristig ein zufriedenes und erfülltes Berufsleben zu führen. Dabei ist es wichtig, die eigenen Ressourcen zu schonen, anzupassen und regelmäßig wieder aufzuladen – mit dem Ziel, zufrieden, gesund und produktiv zu sein.
Zufriedenheit: Im Lauf der Karriere reihen sich verschiedene Lebensphasen aneinander, geprägt von Erfahrungen und Ereignissen aus dem privaten und beruflichen Umfeld. Idealerweise nimmt unsere Handlungsfähigkeit zu, was uns dabei hilft, zufrieden mit uns selbst und unserer Karriere zu sein. Der Umgang mit positiven und negativen Ereignissen ist die Basis für Bewältigungsstrategien. Unsere Anpassungsfähigkeit an Lebensereignisse sensibilisiert unser Bewusstsein für uns selbst und hilft uns dabei, unsere Karriere nachhaltig zu steuern. Organisationen können mit Gesundheitsangeboten sowie einer selbstreflektierten und fehlerfreundlichen Arbeits- und Kommunikationskultur entscheidend zur Zufriedenheit ihrer Mitarbeitenden beitragen.
Gesundheit: Alterungs- und Reifeprozesse ermutigen uns, eine individuelle Work-Life-Balance zu finden sowie auf unsere körperliche und mentale Gesundheit zu achten. Das Ziel ist es, die Anforderungen des Berufs zu meistern und Workload sowie Mental Load mit den Ressourcen, die uns zur Verfügung stehen, zu bewältigen. So entwickeln wir eine sogenannte „Karriere-Resilienz“. Organisationen können mit Workshops, Fortbildungen und (Einzel- sowie Team-)Coachings die Resilienzfähigkeit ihrer Mitarbeitenden direkt beeinflussen und somit eine organisationale Resilienz sichern.
Produktivität: Das Gefühl von Produktivität erhöht Leistungs- und Arbeitsfähigkeit sowie Belastungsbereitschaft. Selbstführung ist das Mittel der Wahl. Dabei geht es im ersten Schritt darum, Zusammenhänge zu erkennen, wie zum Beispiel „Was brauche ich?“, „Was macht mich zufrieden?“ und „Was treibt mich an?“. Im zweiten Schritt gilt es, körperliche oder emotionale Signale für diese Zusammenhänge zu erkennen. Nur so können alle Beteiligten im dritten Schritt sinnvolle und zielführende Entscheidungen treffen: „Wie gehe ich mit aktuellen Veränderungen um?“, „Was steht mir zur Verfügung?“, „Was ist leistbar?“ Ein entsprechender Rahmen in Form der Passung zwischen den Stärken des Mitarbeitenden und seiner Aufgaben sowie die Förderung von Selbstreflexion regen das Gefühl von Produktivität an.
Führungskräfte und Mitarbeitende müssen die Gestaltung von Arbeitsplätzen und Arbeitsmodellen, Arbeitsbedingungen und Kulturen aushandeln. Wenn alle Beteiligten ihre Verantwortung annehmen, kann ein zufriedenstellender, gesunder und produktiver Arbeitskontext entstehen.
// Fazit
In unserem Modell haben wir einige Aspekte vorausgesetzt. So wird Living Leadership für jene Berufe besser passen, die ein Minimum an Kreativität erfordern. Dort, wo das nicht der Fall ist, erreichen Unternehmen Bindung eher durch extrinsische Motivation, zum Beispiel über Gehalt oder Statussymbole. Außerdem setzen wir voraus, dass das Gehaltsniveau so hoch ist, dass intrinsische Motivation überhaupt entstehen kann. Das bedeutet, dass eine Organisation weder zu wenig noch zu viel zahlt, damit die Sache mit dem Geld „vom Tisch ist“. Schließlich implizieren wir ein Menschenbild, für das wir den Begriff „Homo relatus” vorschlagen, „den Menschen im Bezug“. Es geht darum, alle Beteiligten in Beziehung zueinander zu sehen – und eben nicht einzelne Führungskräfte in den Fokus zu rücken. Organisationen erreichen dann Bindung über einen Prozess, den alle gemeinsam gestalten und bei dem sie auf soziale Interaktionen, die Charakteristika ihrer Tätigkeiten und eine nachhaltige Karriere achten.
// Literaturtipps
Inequity in Social Exchange. Von John Stacey Adams. In: Advances in Experimental Psychology. Hrsg. von Leonard Berkowitz. Academic Press 1965, S. 267-299.
Ein Kompass zur Vermeidung destruktiver Führungsdynamiken: Handlungsempfehlungen auf der Grundlage empirischer Erkenntnisse. Von Laura Binni, Thomas M. Schneidhofer und P. Lepping. In: Zeitschrift Führung und Organisation (2024 im Druck).
Sustainable careers: Towards a conceptual model. Von Ans de Vos, Beatrice van der Heijden und Jos Akkermans In: Journal of Vocational Behavior 2020, 117, 103196. >> doi.org/10.1016/j.jvb.2018.06.011
Motivation through the design of work: test of a theory. Von John Richard Hackman und Greg R. Oldham. In: Organizational Behavior and Human Performance, 16 (2) 1976, S. 250-279.
Zombie leadership: dead ideas that still walk among us. Von Alexander Haslam, Mats Alvesson und Stephen D. Reicher. In: The Leadership Quarterly, 35 (3) 2024. >> doi.org/10.1016/j.leaqua.2023.101770
The surprising truth about what motivates us. Von Dan Pink. Penguin Verlag 2009.
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Thomas M. Schneidhofer
Professor für Personalmanagement und Organisation bei Privatuniversität Schloss Seeburg | https://www.uni-seeburg.at/